"Den inneren Zusammenhang und die vielfältigen Bezüge der sechs Klaviervariationen des Albums ihres Programms zueinander sieht Roberte Mamou so: „Carl, Johann Nepomuk, Franz, Ludwig, Wolfgang und Joseph, alle in Wien während eines Jahrhunderts. Nicht alle sind Wiener, haben sich aber dauerhaft in dieser Stadt niedergelassen und eine offensichtliche Verbindung zu ihr entwickelt.“ Das Programm ist ausgehend von Hummels Variationen klug gewählt, legt es doch die Entwicklung der Musik von der streng regulierten Barockmusik über deren Auflösung in freiere Formen und die Verflächung in romantischere, gefühlvollere Gefilde auf faszinierende Art und Weise offen. Die zu hörenden Variationen sind dennoch nichts weniger als Virtuosenfutter. Hier geht es in erster Linie um die Auslotung der Grenzen der persönliche Imaginationskraft, aber auch die Fortschreibung kompositorischer und pädagogischer Standards in harmonischen Wendungen, Dynamik, Rhythmik und Agogik. Sicherlich, nicht alle Werke des Albums sind meisterlich, alle aber haben neben einer gehörigen Portion Witz/Charme auch die Vorzüge „geistreich, spritzig und satztechnisch versiert“ (Claus-Dieter Hanauer über Czernys „Es-Dur Variationen“) zu sein. Anders ausgedrückt: Unterhaltung, Anmut und salonhaft leichte Verdaulichkeit mischen sich mit verblüffendem Tiefgang in fein ziselierten musikalischen Strukturen.
Genau dieses Amalgam zu einem geschlossenen Ganzen zu fügen, macht den singulären Reiz der Interpretation der belgischen Pianistin Roberte Mamou aus. Die legendäre Pianistin steht von ihrer ausschließlich dem Werk verpflichteten Interpretation stilistisch der ebenso legendären Rosalyn Tureck nahe. Tureck wird zu Recht als Hohepriesterin der Musik Johann Sebastian Bachs bezeichnet. Auch Roberte Mamou ist einer grundlegenden Einfachheit im Spiel und einer bedingungslosen Wahrheit im Ausdruck verpflichtet. Eitelkeit, etwaige Anbiederungen an PR-Erwartungen oder einen nebulösen Zeitgeist bzw. irgendwelchen Moden liegen ihr fern. Sie nimmt sich alle Zeit der Welt, um Themen aufblühen zu lassen, die Musik im Raum aufzufächern und den populären Variationenwerken in all ihrer Verspieltheit eine erstaunliche Ernsthaftigkeit zu verleihen. Ihr klarer Anschlag, der wohltuend sparsame Einsatz des Pedals, die überaus fein dosierten Rubati, die aus der der Musik zugrunde liegenden Emotion geborene Farbgebung vermögen die Zuhörer in eine andere, entschleunigte Welt zu entführen. Dieser Ansatz betont den meditativen Charakter der Musik, ihre Spiritualität, die Künstlerin geizt aber auch nicht – wo im Wesen einer Variation begründet – mit Dramatik oder Humor.
Mamous Spiel atmet eine aristokratische Duftigkeit (Beethoven), einen mit Wehmut durchzogenen poetischen Glanz (Haydn), Eleganz (Czerny), ein kalligraphisches Auskosten der Verzierungen bzw. ein sternspritzendes Perlen der Läufe wie bei einer Spieluhr (Hummel). Die Pianistin scheint in den elegischeren Passagen Musik zu traumverlorener Ewigkeit gerinnen zu lassen. Dort, wo das Leben nichts will und nichts erstrebt, außer der Schönheit des Augenblicks zu huldigen. Hören Sie sich das Impromptu in B-Dur D 935 Nr. 3 von Franz Schubert an und Sie werden wissen, was ich meine. Also ist nicht Roberte Mamou die wahre Alchemistin? Sie vermag der Musik nämlich einen Zauber zu entlocken, der mehr wert als kalt im Safe schlummerndes Gold ist und auf alle Fälle vom Alltag Gehetzte für eine Stunde Ruhe finden lässt. (...)
Fazit: Mehr als eine Empfehlung. Das Album ist nichts weniger als der klingende Beweis, was die Kunstform Musik und eine wahrhaftig große Interpretation mit Ewigkeitswert in einer schnelllebigen Zeit zu leisten vermögen.
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