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  • Nathaniel Whitten

5 Fragen an Peter Orth


Wie haben Sie das Repertoire für Ihre jüngste Aufnahme ausgewählt? Obwohl scheinbar der gesamte klassische Kanon aufgenommen worden ist, habe ich doch noch Spielraum für neue Interpretationen entdeckt. Erstaunlicherweise ist gerade die Klaviermusik von Johannes Brahms keineswegs erschöpfend vertreten. Im Katalog von „Challenge Records“ fehlt ein Teil dieses Repertoires, und genau diese Stücke sind sehr alte Freunde von mir. Sie haben mich fast mein ganzes Leben begleitet und sind mir sehr vertraut.

1992 sind Sie nach Deutschland gezogen. Welchen Einfluss hat das auf ihr Spiel im Vergleich zu anderen Orten an denen Sie gelebt oder die Sie besucht haben? Für mich als „verpflanzter“ Amerikaner hat das Leben und Atmen in einer Atmosphäre, in der Kunst eine tiefere Bedeutung hat als in anderen Ländern, einen spürbar positiven Effekt. Allein die Architektur ist eine überwältigende Inspiration. Aus meiner persönlichen Erfahrung mit amerikanischen Musiklehrern, habe ich den Eindruck, dass sie vor den großen Meistern oft eine gewisse distanzierte Ehrfurcht haben, wo hingegen ein natürlicher Zugang wünschenswert wäre. In ein Land zu kommen, in dem die Komponisten gelebt und gearbeitet haben, hilft, ihr Leben in ihrem Umfeld zu verstehen und holt sie von ihrem Sockel. Nach vielen Jahren des Konzertierens in den USA zwang mein Umzug nach Deutschland, mich mit meinen Stärken und Schwächen als Spieler neu auseinander zu setzen. Ich hatte hier überhaupt keine Beziehungen, niemand kannte mich – oder wollte mich kennen! Der Neustart stellte sich aber als sehr heilsam für mich als Pianist heraus, obwohl ich viele lange Jahre durchhalten musste, bis ich da angekommen bin wo ich heute stehe. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass ich erst in Deutschland zum Musiker gereift bin. Die Tatsache, dass ich mit einem Streichquartett „verheiratet“ bin – mein Partner und Ehemann ist der Bratschist des Auryn Quartetts – hat sich als die ideale musikalische Erziehung herausgestellt. Unzählige Konzerte mit den Auryns haben mich gelehrt, meine Vorstellungen so auszudrücken, dass die vier Mitspieler es verstehen konnten. Einmal, nach einer besonders inspirierenden Aufführung eines Beethoven Quartetts der Auryns, fragte ich den Primarius Matthias Lingenfelder wie es im gelänge, einen besonderen Adagio-Klang so natürlich wirken zu lassen. Er antwortete, dass trotz aller Komplexität es sich doch letztlich „nur“ um ein Lied handele. In diesem Augenblick fiel die ganze Last beim Spielen großer Musik von meinen Schultern.

Sie haben vor kurzem Ihre Professur an der Hochschule für Musik in Detmold beendet. Hat das Unterrichten Ihren Ansatz beeinflusst ein Werk zu erarbeiten? Als Amerikaner in Deutschland hat die Tatsache, dass ich nicht in meiner eigenen Sprache unterrichtet habe, mich dazu gezwungen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren – sei es darauf, wie man die Hände benutzt oder was nötig ist, um eine musikalische Phrase zu verstehen und umzusetzen. Wenn ich etwas beim Unterrichten gelernt habe, dann, dass alle Regeln über „richtiges“ oder „stilgerechtes“ Spielen Unsinn sind. Man muss mit seiner eigenen Beziehung zur Musik anfangen. Ohne sie ist alles bedeutungslos. Durch das Unterrichten hat sich also nicht verändert, was mir bei einer musikalischen Aufführung immer wichtig war, aber es hat sicher viele Gedanken klarer werden lassen. Was halten Sie für Ihren größten Vorzug und was für Ihre größte Verantwortung als Künstler? Wie nutzen Sie beides zu Ihrem Vorteil? Zu bewerten wie man selbst als Künstler auf andere wirkt, ist ein bisschen so wie wenn man versucht, seine eigene Zunge zu schmecken. Wir haben vielleicht eine Ahnung, welchen Eindruck wir machen, aber ich glaube das Einzige was man tun kann ist, so ehrlich wie möglich zu sein und seine „Strickarbeit“ zu machen (wie eine meiner verehrten Lehrerinnen Adele Marcus zu sagen pflegte). Als ich Künstler im Konzert gehört habe wie die Callas, Baker, Bernstein, Celibidache, Horowitz, Rubinstein oder Serkin, um nur einige zu nennen, ist mir instinktiv klar geworden, welches Feuer eine musikalische Aussage haben muss. Vielleicht weil ich Zeuge einer vergangenen Zeit geworden bin, möglicherweise der letzten großen Musikergeneration, lege ich einen hohen Maßstab an mich, an dem ich mich messe und dem ich mich verantwortlich fühle. Es ist nicht an mir zu entscheiden, ob ich dem gerecht werde. Man kann nicht imitieren, man kann nur das sein, was man ist. Ich versuche meine Beziehung zur Musik mit dem Publikum zu teilen. Mit etwas Glück bedeutet es jemandem etwas.

Sie leben ein Leben des Geistes genau so wie eines des Verstandes. Wie beeinflussen Ihre buddhistischen Praktiken ihr Spiel und umgekehrt? Shakespeare, Plato, Buddha, alle haben gesagt, dass es das Wichtigste im Leben ist, sich selbst zu erkennen. Um eine Bühne zu betreten braucht man gute Nerven und Selbstvertrauen, vor allem aber Selbsterkenntnis. Wir ausübende Künstler können selbst sowohl unser größter Verbündeter als auch unser größter Gegner sein. Das Wissen darum ändert und entwickelt sich mit den Jahren. Meine größte Offenbarung als Spieler oder als Zuhörer sind die Momente, in denen ich aus mir heraustrete. Ich habe gelernt, dass es kein Rezept gibt, um diese Magie heraufzubeschwören. Wir können nur die optimalen Voraussetzungen schaffen, damit Musik geschieht. Wir können nicht den Wind einladen, aber wir können das Fenster öffnen. Das scheint mir das Wesen von Meditation zu sein.


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