Das Noga Quartet, bestehend aus Simon Roturier, Lauriane Vernhes, Avishai Chameides und Joan Bachs, wurde bereits im Jahr 2009 gegründet. Die vier Musiker haben seitdem schon einige international renommierte Wettbewerbe gewonnen und spielten Konzerte auf der ganzen Welt. Nur eins hat noch gefehlt – ein Debütalbum. Im Jahr 2019 hat das Streichquartett nun seinen ersten Langspieler mit dem Titel „Aquarelles“ veröffentlicht. Dabei kombinierten die Musiker ein Stück des Spätromantikers Reynaldo Hahn mit Werken von Claude Debussy, unter anderem auch den Liederzyklus „Ariettes Oubliées“, den Joan Bachs neu für Streichquartett und Sopran arrangiert hat. Neben dem Noga Quartet ist deswegen auch Sopranistin Siobhan Stagg auf dem Album zu hören, die gemeinsam ganz besondere Klangfarben zaubern.
Im Interview erzählen die Musiker Details über ihr Debütalbum, ihre unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und was sie sich für die nächsten zehn Jahre Noga Quartet wünschen.
Sie kommen aus Frankreich, Italien und Israel. Inwiefern beeinflussen Ihre kulturellen Hintergründe Ihr Zusammenspiel?
Avishai Chameides: Es ist der Zauber der Musik, der uns zusammenbringt. Vier Menschen, die von verschiedenen Orten kommen, lernen, spielen und entwickeln eine Sprache zusammen. Das sind alles Persönlichkeiten, die Charakter in die Musik bringen – sowohl beim Proben als auch in den Konzerten. Man denkt immer, dass nur die Franzosen Debussy, Ravel, Fauré oder Hahn gut ausdrücken können. Das ist natürlich falsch. Wir haben für uns verstanden, dass es vielmehr darum geht, die Musik zu lieben und den Menschen näherzubringen.
Ihr Debütalbum haben Sie „Aquarelles“ genannt. Welche Bilder haben Sie im Kopf, wenn Sie Debussy und Hahn spielen?
Avishai Chameides: Ich persönlich habe keine Bilder im Kopf, wenn ich spiele. Wenn ich es schaffe, während des Spielens wirklich in der Musik zu sein und mich von allem Technischen loszulösen und den Kopf frei zu bekommen, kann ich endlich das Abstrakte und Unerklärbare in der Musik genießen. Das ist für mich der höchste erreichbare Punkt in der Musik. Man kann aber mithilfe von Bildern über die Musik reden. Das machen wir auch sehr oft in der Probe: „Was haben wir hier für ein Bild oder für einen Charakter?“ Das bringt uns zusammen, aber letztendlich bleibt die echte Essenz der Musik für jeden ein bisschen anders.
Wie war die Zusammenarbeit mit Siobhan Stagg?
Avishai Chameides: Siobhan ist vor allem ein wunderbarer Mensch, mit der ich sowieso sehr gerne Zeit verbringe. Wir haben uns schon mehrere Male zufälligerweise rund um die Welt an unerwarteten Orten getroffen. Ich habe sie und ihren Gesang auch schon öfter in der Oper begleitet, als ich dort gearbeitet habe. Ihre Stimme und ihre Persönlichkeit haben mir so gut gefallen, dass ich dachte: Irgendwann müssen wir einmal kammermusikalisch zusammenarbeiten. Es war von der ersten Probe an klar, dass sie perfekt zum Quartett passt. Siobhan hat hohe Achtung vor dem Text und der Intention des Komponisten. Sie war pingeliger und strenger mit sich selbst als die drei Franzosen in der Gruppe, als es um die korrekte Aussprache des französischen Textes ging. Wir haben uns alle über die Aufnahme gefreut und es war für uns eine sehr besondere Erfahrung. Umso aufregender war es dann, die Lieder mit Siobhan im Konzert zu spielen und mit ihr auf der Bühne aufzutreten. Da waren wir alle vier einmal mehr von ihrer intensiven Bühnenpräsenz und strahlenden Energie überrascht. Wir hoffen, dass wir sie noch öfter mit uns auf der Bühne erleben dürfen.
Herr Bachs, wie kamen Sie auf die Idee, die „Ariettes Oubliées“ von Claude Debussy für Streichquartett zu arrangieren?
Joan Bachs.: Wir wollten unbedingt mit Siobhan spielen. Es gibt nicht viel Repertoire für Streichquartett und Gesang, weil Klavier und Orchester mehr Möglichkeiten bieten. Es gibt natürlich Schönbergs Streichquartett Nr. 2, ein sensationelles Stück. Das war aber nicht unsere Sprache, wir hatten zu wenig Kenntnis über diese Musik. Es gibt auch Respighi, Barber oder die Schumann-Arrangements von Reimann. Aber als die Idee aufkam, ein Stück mit Siobhan zu musizieren, haben wir eine geniale Aufnahme von Quatuor Ébène und Matthias Goerne mit den Arrangements von Schuberts Liedern gehört. Ich fand die Idee, etwas zu bearbeiten, sehr spannend und Debussy war eine sehr spontane, aber auch klare Wahl: Debussys Streichquartett hatten wir schon in unserem Repertoire und Lauriane hatte vor kurzem die „Ariettes“ mit Ihrem Orchester aufgenommen. Zur Zeit von Debussy haben viele Komponisten und Virtuosen berühmte Stücke arrangiert. Caplet, ein Freund von Debussy und selbst ein sehr guter Komponist, hat beispielsweise ein paar Sätze der „Ariettes“ für Orchester und Gesang bearbeitet. Ich habe gedacht, das darf ich auch probieren. Ich bin eben verliebt in die Lieder von Debussy, Ravel, Duparc, Hahn und Fauré!
Claude Debussy und Reynaldo Hahn waren sich nicht besonders grün. Warum passen die Stücke beider Komponisten trotzdem auf Ihrem Album „Aquarelles“ zusammen?
Joan Bachs: Für mich ist es interessant, zwei Komponisten auf dem gleichen Album nebeneinander zu haben, die aus verschiedenen Gründen gegensätzlich zueinander stehen, obwohl sie zur gleichen Kultur gehören: Zwei Streichquartette, die fast 50 Jahre nacheinander geschrieben worden sind. Das eine ist sehr modern für seine Zeit mit klaren Grenzen und Brüchen, das andere trotz großen Veränderungen in der Welt nach zwei Weltkriegen sehr konservativ geschrieben. Aber beide haben die Stimme und das Lied geliebt und das ist in beiden Werken deutlich zu hören.
Warum ergänzen sich Gesang und Streichquartett so gut?
Avishai Chameides: Der Klang des Streichquartetts ist für mich allein schon eine akustische Befriedigung. Diese kammermusikalische Qualität war aber auch die ursprüngliche Natur des Gesangs, bevor die großen Säle der Oper mit viel Ton gefüllt werden mussten. Die Kombination der unforcierten Stimme und dem sanften, einzeln besetzten Streicherklang finde ich traumhaft!
Was fasziniert Sie so sehr an der Musik der Pariser Belle-Époque?
Avishai Chameides: Die Stimmung der Belle-Époque ist faszinierend. In Friedenszeiten haben die Künstler Neues erfunden, recherchiert und experimentiert. Es war wichtig, in Frankreich eine Kunst und Musik zu haben, in der man Frankreich auch spürt. Wagner war zwar sehr beliebt, hatte aber nicht viel zu tun mit der französischen „art de vivre“. Wenn man überlegt, wie die Künstler sich miteinander im Café getroffen haben und sich in den Salons gegenseitig ihre Werke gezeigt haben: Das war bestimmt sehr spannend und lebendig.
Joan Bachs: Ich würde sehr gern einmal ins Paris von 1900 reisen, die gleichen Anzüge tragen und die Pariser Salons besuchen. Für uns klingt die Belle-Époque eine Spur nostalgisch. Es ist die Zeit, in der die Komponisten angefangen haben, sich von den strengen Regeln der Musiktheorie zu lösen. Eine Zeit, in der die Kunst uns ganz deutlich, aber mit viel Poesie zeigt, wie lässig, charmant, geschmackvoll und farbig Paris war. Man spürt das in der Musik von Debussy und Hahn, die zwei sehr beliebte Künstler der Belle-Époque waren. Wenn man diese Musik hört, denkt man sofort an Paris, Montmartre, Édouard Manet, Marcel Proust und schwarz-weiße Postkarten. Das ist sehr inspirierend.
Im Jahr 2019 haben Sie Ihr zehntes Jubiläum gefeiert. Was wünschen Sie sich für die nächsten zehn Jahre?
Avishai Chameides: Ich wünsche uns, dass wir uns selbst noch näher kommen. Dass wir unseren eigenen Charakter noch stärker in die Musik bringen und ungefiltert auf der Bühne auftreten können. Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren einen aktiven und hinterfragenden Prozess hinter uns gebracht haben, dass wir unsere Aufnahme von jetzt hören und mit einem Lächeln denken: „Wow! So haben wir damals gespielt!?“
Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken – an was erinnern Sie sich besonders gerne zurück?
Avishai Chameides: Es gibt Momente in Konzerten, die mir sehr stark in Erinnerung geblieben sind: Als wir manche meiner Lieblingsstücke wie Schubert G-Dur oder Beethoven op. 132 gespielt haben und ich auf der Bühne währenddessen so ein Gefühl von Freude und Glück hatte. Da habe ich einfach nur gedacht: „Ich habe es geschafft!“, weil es, seitdem ich Bratsche spiele, mein Traum war, diese Stücke einmal mit meinem Quartett zu spielen. Aber ich denke gerne auch an mehrere Begegnungen zurück, die wir durch das Quartett und als Quartett gemacht haben. In unseren zehn gemeinsamen Jahren haben wir überall in der Welt tolle interessante Menschen kennengelernt. Eine für mich gute Erinnerung stammt aus der Anfangszeit unseres Quartetts, als wir 2010 in Montreal den Mitgliedern des Asasello Quartett begegnet sind. Wir hatten uns erst ein paar Monate zuvor als Quartett zusammengefunden und sie haben schon so lange zusammen gespielt. Die sehr besondere Freundschaft, die sich zwischen unseren beiden Gruppen ergeben hat, ist für mich bis heute eine sehr schöne warme Erinnerung.
Sie wollen nicht stehen bleiben, sondern sich stetig weiterentwickeln: Ihr Debütalbum soll lediglich als ein Dokument des Augenblicks verstanden werden. Warum ist es Ihnen so wichtig, immer wieder neue Interpretationen zu schaffen?
Joan Bachs und Lauriane Vernhes: Wir suchen nicht nach neuen Interpretationen, sondern nach der Interpretation, die jetzt im Moment passt. Man lebt im Augenblick und die Musik ist ständig im Kreationsprozess. Die Musik bewegt sich immer, sie ist kein Museum. Es gibt schon genug Staub auf den Noten. Wir müssen vielmehr analysieren, was wir in dem einen Moment, in dem wir proben, auftreten, und leben, ausdrücken wollen. Wie passt die Musik des 18., 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts zu den heutigen Menschen? Das ist die spannende Frage und nicht, wie genau Mozart damals sein Quartett gespielt hat.