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Alexandra Sostmann und Das Wohltemperierte Clavier

Robert Neeczek hat sich mit der Pianistin unterhalten.


Alexandra Sostmann hat für Prospero Classical Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Clavier, Band 1 aufgenommen.

Wenn man Ihre früheren CD-Programme Revue passieren lässt, Frau Sostmann, dann stellt man fest, dass Bach ein fester Bezugspunkt ist. Er ist ja fast immer dabei. Von daher ist es nur konsequent, wenn Sie nun eine Gesamtaufnahme eines seiner Hauptwerke, den ersten Teil des Wohltemperierten Claviers, vorlegen. Der große Pianist Hans Bülow hat die Bedeutung des Zyklus für Pianisten einmal mit dem des Alten Testaments verglichen, was von einem ungeheuren Respekt zeugt. Mit welchem Gefühl sind Sie denn an die Sache herangegangen? Es ist ein unglaubliches Werk, und zwischendurch kam ich mir angesichts dieses musikalischen Kosmos ganz klein und nichtig vor. Ich musste die Idee einer Gesamtaufnahme, die ja von Seiten des Labels kam, auch erst einmal im Kopf hin und her wenden, bevor ich zugesagt habe. Als die Entscheidung dann durch war, ging es aber auch gleich zur Sache.

Wie haben Sie sich darauf vorbereitet? Ich kenne die Stücke natürlich. Aber sich damit intensiv zu beschäftigen, ist nochmal etwas ganz Anderes. Vor allem stellt sich im Zusammenhang mit der barocken Aufführungspraxis die Frage: Wie macht man das auf dem modernen Instrument? Mir war klar, dass ich das nicht romantisch anlegen will und dass mich diese Romantisierung immer gestört hat. Bei den Cembalisten und Organisten gibt es das natürlich nicht, aber bei den Pianisten. Ich glaube, dass das aus der Chopin- Zeit stammt, als man anfing, alles legato zu spielen und das dann auch auf Bach übertragen hat.

Aber fordert Bach selbst im Vorwort zu seinen Inventionen und Sinfonien nicht ein kantables Spiel, das es zu erlangen gilt? Ja, aber das hat man etwas missdeutet. Das kantable Spiel bedeutet, dass man versucht, zwei oder drei Stimmen wie eine menschliche Stimme zu gestalten, aber eben auch differenziert zu artikulieren, also kein Einheitslegato. Aber da fängt die Schwierigkeit an: Wenn man dann 48 Stücke vor sich hat, die alle ganz individuell artikuliert werden müssen hat, ist das der absolute Wahnsinn! Dann kann man auch Glenn Gould verstehen, der gemeint hat, er würde Händel nur noch auf dem Cembalo einspielen, weil das auf dem Klavier so viel mehr Arbeit bedeutet. Ja – das durfte ich jetzt auch wirklich erfahren.

Aber wie artikuliert man denn ‘kantabel‘ auf dem modernen Klavier? In der Hinsicht ist Bach ja nicht sehr auskunftsfreudig. Ich habe mich sehr viel mit barocker Artikulation in der Bach’schen Ausführung beschäftigt. Es gibt da in der Tat nicht so viel, das notiert ist. Aber bei den Streichern in den Brandenburgischen Konzerten findet man zum Beispiel relativ viel. Bei den Inventionen und Sinfonien auch ein wenig. Dazu muss man wissen, dass die Artikulation auf dem Clavier nicht anders war als bei den Streichern. Ich habe mich deshalb auch mit den Passionen, Motetten und Kantaten auseinandergesetzt. Das ist ja der Ur-Kern, um das ganze Œuvre zu verstehen.

Wie schlägt sich das in der Interpretation nieder? Es ist immer lebendig durch die Artikulation. Cembalo und Clavichord haben davon gelebt. Nur so hat man keine Monotonie empfunden.

Es ging um Abwechslung … Ja, es ging um Abwechslung. Und diese Abwechslung musste ich versuchen, auf das Klavier zu übertragen.

Wie haben Sie das gemacht? Indem ich zum Beispiel Orgelpunkte verdoppelt und sie ins Tonhaltepedal gesetzt habe, um den mächtigen Bass, der immer schon von der Orgel herrührte und der auch ein kirchliches Symbol ist, hervorzuheben. Auch im c-Moll-Präludium habe ich die Bassstimme einige Takte lang verdoppelt, einfach um diese Größe zu zeigen.

Das klingt mir jetzt aber doch sehr nach romantischer Bach-Interpretation.

Die Artikulation ist aber eine ganz andere. Ich pedalisiere ja nicht alles mit dem rechten Pedal durch. Beim Tonhaltepedal bleibt alles andere transparent. Das ist der große Unterschied. Auf diese Weise werden auch die Reibungen, die man so wunderbar in den Stimmen der Passionen oder Orchesterwerke hört, hörbar. Das ist natürlich der Gedanke der Polyphonie, der ja auch in den Präludien oft stark ausgeprägt ist. Man kann manchmal lesen, es gäbe in den Präludien keine Polyphonie, was einfach nicht stimmt. Die Präludien sind voll davon.

Da fällt mir spontan das Es-Dur-Präludium ein, das ausgesprochen polyphon angelegt ist. Dort findet sich zum Schluss auch ein fünf Takte langer Orgelpunkt.

Ja, das findet sich immer wieder. Beim c-Moll- ebenso wie beim C-Dur-Präludium oder in der cis-Moll- und a-Moll-Fuge. Ich arbeite auch mit einer Art Terrassendynamik, so dass ich zum Beispiel bei einigen Intermedien ins piano gehe, um die Idee der Register zu zeigen. Das schafft auch wieder Abwechslung. Am Ende der einzigartigen dis-Moll-Fuge gehe ich sehr zurück ins piano, spiele die oberen Liegetöne des Themas im forte, und alles andere ordnet sich unter. Es ist einfach mal ein anderer Aspekt, ergibt musikalisch Sinn und zeigt die Schönheit und Tiefe dieser Musik. So hat jedes Stück für sich eine eigene Idee. Es gibt übrigens auch einige Passagen, bei denen ich eine Artikulation anwende, die vom Lautenzug inspiriert ist. Da spiele ich den Bass ganz trocken und obertonreich.











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