"Wenn ‚Klassik-Menschen‘ Tango spielen – dann kann das durchaus auch daneben gehen. Nämlich dann, wenn es sich um Musikerinnen und Musiker handelt, die aufgrund ihrer exklusiven Ausbildung glauben, jede Musik spielen zu können, ohne sich ausgiebig mit ihren Besonderheiten zu befassen. Sind die entsprechenden Interpreten aber mit einem gesunden Respekt vor anderen Musiktraditionen und einer großen musikalischen Offenheit ausgestattet, so kann daraus etwas ganz Bezauberndes werden. Das ist der Fall bei der Aufnahme des ardeTrio, „Tango Concertante Vol. 1“. Liest man die Ensemble-Biographie im Booklet der CD, so hat man das Gefühl, dass sich hier etwas gefügt hat, das auch zusammengehört: 2018 lernten sich der Bandoneon-Spieler Omar Massa und Geiger Markus Däunert bei einem Festival kennen, bei dem sie beide gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern auftraten. Damals war im Hintergrund bereits Danusha Waskiewicz als Bratschistin im Orchester dabei, die wiederum befreundet war mit Däunert. Dieser gründete gemeinsam mit Massa und einem Cellisten ein Trio, bis der Cellist ausfiel. Bei der Suche nach einem Ersatz kam die Frage auf, ob nicht auch eine alternative Besetzung möglich sei. So fand sich schließlich mit Waskiewicz ein Trio in der Besetzung Bandoneon, Violine und Viola zusammen.
Musikalischer Dreh- und Angelpunkt des Trios ist der Bandoneon-Spieler Omar Massa. Geboren 1981 in Buenos Aires, hat er seine ersten musikalischen Erfahrungen in der Heimat des Tangos gemacht und dort bereits große Erfolge gefeiert. So wurde ihm beispielsweise als einzigem Musiker die Ehre zuteil, auf dem Bandoneon von Astor Piazzolla zu spielen, das ihm dessen Familie gewährte. Außerdem durfte er auf Einladung der Regierung gemeinsam mit Plácido Domingo auftreten, der ihn darin bestärkte, sich auch der klassischen Musik zu widmen. Gemeinsam mit seinen beiden Kollegen des ardeTrios hat Massa es sich als Musiker und Komponist zum Ziel gesetzt, den Tango Nuevo in das 21. Jahrhundert zu holen. Die neue CD beinhaltet ausschließlich Kompositionen Piazzollas (arrangiert von Massa) sowie Werke von Massa selbst. Damit wollen die Musiker einen Einblick geben in die Geschichte des Tango Nuevo von seiner Entstehung bis in die Gegenwart. Wie gut Massa dieser Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart gelingt, zeigt sich bereits im Eröffnungsstück Caminos y Desvios, das dem Klang auch aus der Feder Piazzollas stammen könnte. In abwechslungsreichen Abschnitten hat dieses Stück alles, was man von einem ‚typischen‘ Tango Nuevo erwarten würde – zackige Rhythmen und immer wieder ganz viel Schmelz in den Streichern. Mit Piazzollas Bordel 1900, Cafe 1930 und Night Club 1960 gehen die drei Musiker im wahrsten Sinne des Wortes zurück in die Histoire du Tango, Piazzollas gleichnamigen Zyklus.
In seinen Bearbeitungen gelingt es Massa hervorragend, die Balance zu finden zwischen dem Erhalt des ursprünglichen Klanges und einem auf den Leib schreiben für sein Trio – so beispielsweise in der schönen Bratschenstimme in Cafe 1930 oder auch der Etude Nr. 3, in der ebenfalls Waskiewicz glänzen kann. Eine ganz besonders anrührende Geschichte verbirgt sich hinter Massas Komposition des Tango Lullaby: Das Stück ist seiner Nichte gewidmet, die im Frühjahr 2020 geboren wurde. Da er durch die Corona-Pandemie die neugeborene Nichte in Buenos Aires nicht besuchen konnte, bat seine Schwester ihn, ihr Musik zu schicken, um so eine Verbindung zwischen Nichte und Onkel herzustellen. Entstanden ist ein schlicht-schönes Wiegenlied, das das Trio voller Wärme zum Klingen bringt – schöner kann man ein Kind nicht in der Welt des Tangos begrüßen. Moderner werden die Klänge in dem improvisatorisch angehauchten Negro Liso sowie der Piazzolla-Hommage Tango Legacy. Nach dem Bandoneon-Solo The Light from Andalusia hat Massa die Tango Etude Däunert und Waskiewiscz gewidmet, die hier die verschiedensten Spieltechniken ausprobieren dürfen. Mit zwei „Klassikern“ von Piazzolla, die zwei völlig verschiedene Facetten aufzeigen, beendet das ardeTrio seine CD: Ave Maria und Libertango – auch hier fühlt man sich in wärmere Gefilde und andere Zeiten (in mehrfacher Hinsicht) versetzt und darf schwelgen. Zum Glück darf man das „Vol. 1“ hinter dem Albumtitel als Versprechen verstehen – Vorfreude auf eine Fortsetzung ist also inbegriffen.
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