Carmen Stefanescu hat bei Prospero das Album The Voice of Piano herausgebracht. Robert Nemeczek hat sich mit der Pianistin unterhalten.
Die Idee, die dem Album zugrunde liegt, geht zunächst einmal vom Klavier aus. The Voice of Piano, also die Stimme des Klaviers, zielt vor allem auf die gesanglichen Qualitäten des Instruments. Es sind ja fast ausschließlich Lied-Transkriptionen. Wie kommt es zu dieser Fokussierung? Ich habe schon immer gerne Sängerinnen begleitet, wobei es bis jetzt wirklich nur Frauen waren. Dazu kommt, dass einer meiner wichtigsten Lehrer, wenn nicht der wichtigste, ein bedeutender Liedbegleiter war: Irwin Gage. Anfangs kam ich ja noch mit einer Sängerin zu ihm, später hat er nur noch mit mir zusammengearbeitet. Es ging aber nie um reine Klaviermusik, sondern immer um Liedbegleitung, und mit seiner lockeren amerikanischen Art hat er mir das Gefühl gegeben, dass es schön ist, was ich mache. Dann seine obsessive Weise, mit Legato umzugehen. Er hat drauf geachtet, soviel wie nur möglich mit der Hand zu binden, z.B. mit stummem Fingerwechsel, was die Gesanglichkeit unterstützt. Das Klavier ist ja eigentlich ein perkussives Instrument, und es erfordert schon ein wenig Trickserei, um es zum Singen zu bringen. Aber genau diese Gesanglichkeit ist das, was ich als schön empfinde. In dieser Hinsicht war Gage für mich der absolute Meister. Die Arbeit mit ihm hat mich sehr geprägt.
Nun spielst Du aber Klavier-Transkriptionen, die ohne Text auskommen. Verlässt Du Dich ganz auf Deine Intuition, oder läuft da der Text im Kopf mit? Die meisten Texte habe ich komplett im Kopf, und die Thematik, um die es geht, total im Gefühl. So gesehen spiele ich eigentlich keine reine Klaviermusik, sondern immer auch den Text! Der Textinhalt ist sehr wichtig für meine Auffassung und Wiedergabe der Musik.
Es sind natürlich ganz verschiedene Arten von ‘piano voices’, die Du da wiedergibst: auf der einen Seite Volkslieder, auf der anderen Seite Kunstlieder, und dann spielst Du noch einige Originalkompositionen für Klavier, die gewissermaßen aus der Gesangsstimme heraus komponiert wurden. Absolut. Ich habe auch versucht, die verschiedenen Aspekte auf die beiden CDs zu verteilen. Wie Du schon gesagt hast: eine ist fast nur Bearbeitungen von Kunstliedern gewidmet, die andere kommt mehr aus der Volksmusik, also zum Beispiel Fazil Says Bearbeitung des Volksliedes Kara toprak, dann Maria Tănases Frică m-ie că mor ca mâine oder auch Greensleeves, das ich in dieser einlullend schönen Version von Vaughan Williams gefunden habe. Als letztes Stück findet man auf der CD Bachs Choral ‘Ich ruf zu Dir’, der ja keine Eigenkomposition ist, sondern die Bearbeitung eines alten Kirchenlieds. Insofern handelt es sich auch da um Volkes Stimme.
Das rumänische Volkslied, das Du vorhin erwähnt hast, steht gleich am Anfang der zweiten CD. Es scheint Dir viel zu bedeuten.
Ja. Dieses Lied kenne ich seit meiner Kindheit in Rumänien. Maria Tănase, die man auch die rumänische Piaf nannte, hat es oft gesungen. Mit ihrer tiefen, ausdrucksstarken Stimme zog sie alle in ihren Bann. Im zweiten Weltkrieg sang sie auch im Biergarten meiner Urgroßmutter, die den Krieg leider nicht überlebt hat. Das Lied Frică m-ie că mor ca mâine handelt ja auch von einer Todesahnung: « Grünes Blatt der Brombeere/Ich fürchte, ich sterbe morgen/Und sie werden mich ins Kloster bringen/Und sie werden mich mit Erde bedecken/Schwarze Erde, schwarzes Gras.“ Andreas Winkler, mein genialer Arrangeur, hat daraus fast eine Neukomposition gemacht. Ich hatte ihn ja auch gebeten, bei der Bearbeitung den Flügel als Ganzes einzubeziehen, ähnlich wie bei Fazil Says Kara Toprak. Deshalb fängt es mit im Bass gezupften Tönen an.
In Kara Toprak gelingt Say eine verblüffende Imitation der türkischen Saz, einer Langhalslaute, die aber nicht nur in der türkischen Volksmusik Verwendung findet. Auf dem Balkan und in Griechenland gibt es meines Wissens ganz ähnliche Instrumente. Ja, richtig. Der Einsatz dieses Effekts in Frică m-ie că mor ca mâine hat aber auch inhaltliche Gründe. Sowohl in diesem Volkslied als auch in Kara Toprak spielt das Bild der schwarzen Erde eine wichtige Rolle. Kara Toprak heißt ja übersetzt schwarze Erde. In dem rumänischen Volkslied taucht dieses Bild gleich am Anfang auf. Das lyrische Ich sieht sich in naher Zukunft von schwarzer Erde bedeckt. In Kara Toprak ist die schwarze Erde das, was dem, der alles verloren hat, geblieben ist. Fazil Say hat daraus ein tolles Klavierstück gemacht.
Im Programm dieser CD finden sich auch zwei Impromptus von Jean Sibelius. Vor allem im zweiten, dem Op. 5, Nr. 5, ist die schöne, von rauschenden Tonkaskaden umrankte Melodie, sehr vokal empfunden. Aber kommt diese Melodie wirklich aus der Volksmusik? Da habe ich auch zunächst einmal gedacht, dass das Sibelius` eigener Fantasie entspringt – genau wie bei den Impromptus von Schubert und Chopin. Aber dann habe ich herausgefunden, dass dem Stück ein karelisches Volkslied zugrunde liegt. Er hatte ja als Stipendiat des finnischen Staates eine Reise durch Karelien unternommen und dabei im ganzen Land Volkslieder gesammelt. Ähnliches gilt übrigens auch für die sieben spanischen Volkslieder von Manuel de Falla, die ja aus verschiedenen Regionen Spaniens kommen. Da wissen wir aber genau, um welche Lieder es sich handelt, weil de Falla die Originaltitel übernommen hat.
Diese Lieder entsprechen auch ziemlich genau unserer Vorstellung von einer temperamentvollen spanischen Musik. Ja, absolut. Da ist alles drin: von Liebe und Lebensfreude bis zu Eifersucht und aggressiver Wildheit, die man im Cante jondo, also dem tiefen ernsten Gesang des Flamenco, antrifft, der ja aus Marokko herübergeschwappt war, als Granada noch den Mauren gehörte.
Kommt beim Flamenco mit seinen gellenden Aii-Rufen und heftigen Gesten das Klavier nicht manchmal an seine Grenzen? Das finde ich nicht. Also beim Spielen hatte ich das Gefühl: ich lebe das gerade. Zum Beispiel das Aii! im letzten Stück – « Ich hab einen Schmerz in meiner Brust“ – da war ich innerlich sehr aufgewühlt, und ich denke, das kommt auch beim Hörer so an.
Ja, das kommt an, und ich finde, man darf das jetzt auch als Plädoyer für die einst so geschmähte Bearbeitung verstehen. Vorausgesetzt, der Bearbeiter versteht sein Handwerk, was ja bei Ernesto Halffter, der sowohl Komponist als auch Pianist war, sicher das Fall ist.
Er war auch mit de Falla befreundet und kannte die Musik seines Freundes so gut wie kaum ein anderer.
Auf der anderen Seite war de Falla, der ja eine Zeit lang in Paris gelebt hat, mit Claude Debussy, dem Großmeister des musikalischen Impressionismus, befreundet. Damit haben wir auch gleich den Brückenschlag zu der CD geschafft, auf der Du Bearbeitungen von Kunstliedern eingespielt hast. Diese beginnt nämlich mit Debussy, zu dem Du, soviel ich weiß, eine besonders innige Beziehung hast. Ja. Debussy war, musikalisch gesehen, my first love! Ich habe diesen Komponisten nämlich mit 10 entdeckt, speziell den Zyklus Childrens Corner. Meine Lehrerin Ulla Graf ließ ihn mich beim Wettbewerb Jugend musiziert spielen. Und als sie gesehen hat, wie ich diese Musik liebe, hat sie mich alles von ihm spielen lassen: die Images, Estampes, Préludes, einfach alles. Bei Debussy ist es so, dass es sich für mich einfach gut anfühlt. Meine Hände verstehen die Musik, bevor mein Kopf sie versteht. Bei den ganz wunderbaren Klavierbearbeitungen von Andreas Winkler ist es letztlich genauso.
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