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"Ein schönes, ein wichtiges, ein vielschichtiges Liedalbum!"

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Gelungenes Lied-CD-Debüt


Ein Plastikklebeband mit der Aufschrift „Fragile“  bindet die zwei Musiker auf dem Cover zu einem lockeren Paket. Zerbrechlich ist aus meiner Sicht nicht nur der Mann, sondern der Mensch als solcher. In Zeiten von heißen oder brutalen Interessenskriegen um knappe Ressourcen, Einfluss und gefährlichen Ansprüchen einiger Staaten auf politische und wirtschaftliche Machtprimate, kann sich weder Mann noch Frau noch Kind, im Schraubstock von Fremdinteressen, drohenden ökonomischen, ökologischen und finanziellen Schocks und deren primäre, sekundäre oder tertiäre Konsequenzen entziehen.  

Auf die Frage „Wann ist der Mann ein Mann?“ gibt es keine einfache und eindeutige Antwort. Sie hängt von einer Vielzahl an soziokulturellen, zivilisatorischen und vor allem individuellen Bedingtheiten und Identifikationsrastern ab. Conrad und Prinz, bzw. die Dramaturgin und Schlagzeugerin Joëlle Lieser im Booklet machen sich dazu so ihre Gedanken, den diversen Zuschreibungen von Männlichkeit auf der Spur, wandelbar im Lauf der Zeit, geprägt „von Brüchen, Widersprüchen und ständigen Umdeutungen“.

Ich will hier nicht auf die einzelnen Standpunkte näher eingehen, nur so viel: Egal, von wem und wie Männlichkeit ideologisch vereinnahmt und von Umdenken in Richtung „Mut zur Veränderung“ gesprochen wird, ist Vorsicht geboten. Auch neue Desiderata können wieder zu künstlichen, final festgestanzten Rollenbildern führen, die dem nach persönlicher Entfaltung wie gesellschaftlicher Verantwortung strebenden Individuum einen Codex an Verhaltensrestriktionen und deterministischen Erwartungshaltungen auferlegen. Damit wäre auch wieder nichts gewonnen, weil damit die Freiheit, die sie bringen soll, sich wieder in ihr Negativ kehren könnte. Jeder soll doch mit seiner „virtuellen Männlichkeit“ anfangen, was er will, sofern er anderen nicht schadet.

Die Idee, das fragile Konstrukt „Männlichkeit“ abseits jeglicher Stereotype auf dessen Nuancen, Kontradiktionen und emotionale Vieldeutigkeit via Kunstlied von Schubert, Schumann, Brahms, Hugo Wolf bis zu Hanns Eisler abzuklopfen, ist hingegen eine legitime und durchaus lohnende. Nicht zuletzt, weil sie sich eben jeglicher ideologischer Vereinnahmung, von welcher Seite auch immer, widersetzt. Poetisch im innersten Kern, ist das (romantische) Kunstlied Träger universell gültiger Emotionen und Konstellationen, unmittelbar verständlich und durch das schillernde Prisma besonderer Interpreten ins Licht gesetzt, jeglicher Eineindeutigkeit wunderbar fern.

Noch dazu profitiert das Debüt von Lars Conrad und Daniel Prinz auf Tonkonserve ungemein von der immensen Begabung des lyrischen Baritons Lars Conrad für fein gesponnene Legatobögen, einer durchgängig bruchlos ansprechenden Stimme sowie einer erzählerischen Dringlichkeit ohnegleichen. Dazu kommt ein einnehmend individuell gefärbtes Timbre, das sämig dunkel und in überwiegend imponierender Wortverständlichkeit (der eine oder andere Konsonant könnte vielleicht mehr Zunder vertragen) die Polarität von Liebe, Enttäuschung, Entfremdung, Sehnsüchten, zarten Momenten, Lüsten, Trunkenheit, Künstlertum in allen Facetten auszuloten vermag.

Imponierend ist zudem, wie sehr Daniel Prinz es versteht, das Klavier nicht bloß als Begleitinstrument einzusetzen, sondern – vor allem in Liedern wie Hugo Wolfs „Frech und Froh I“ oder Franz Schuberts „Ganymed“ – mit Anschlagsdifferenzierung und dramatischer Pranke als gleichberechtigter Partner intensiv und ausdrucksstark mitzugestalten. Auch die klug ausgetüftelte Liedauswahl spricht für das hohe künstlerische Verständnis des Duos. Und so kann man nur zustimmen, wenn Conrad und Prinz meinen, dass jahrhundertealte Texte uns als Spiegel dienen und zur Reflexion ermutigen können.

Ein schönes, ein wichtiges, ein vielschichtiges Liedalbum!

Dr. Ingobert Waltenberger


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