"... immer bleibt der Vortrag homogen, arbeitet die jeweils wichtigen Themen heraus und stellt in den Vordergrund, was dort hingehört."
- Orchestergraben
- 6. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Eine Symphonie zu hören ist für mich idealerweise eine lange Reise durch abwechslungsreiche Klanglandschaften, wobei spannende Geschichten erzählt und starke Emotionen freigesetzt werden. Die erste Symphonie des Komponisten Günter Raphael (1903–1960) ermöglicht all diese Erlebnisse in höchstem Maß. Im Jahr 1926 konzipiert und vollendet steht das Werk am Übergang von Spätromantik zu neuem Realismus, und sie erfüllt die Rolle als Übergangswerk äußerst intensiv. Mächtige Klangbilder werden erschaffen, schon fast heroisch wirkende musikalische Situationen entstehen, um im nächsten Moment dekonstruiert, manchmal richtiggehend eingerissen zu werden, und damit Platz zu schaffen für oft statisch wirkende, meist sehr kraftvolle Themen. Günter Raphaels Symphonie Nr. 1 ist bekannt für ihre weitläufig angelegte Großsymphonik. Konzipiert in vier Sätzen, von denen der zweite und dritte Satz in Kombination gespielt werden. Allerdings braucht die Symphonie die passende Umsetzung und Darstellung, was bei solch einem umfangreichen Werk eine sehr große Aufgabe sein kann.
Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter der Leitung des Dirigenten Fabian Enders geht hier mit sehr viel Akribie, Gestaltungslust, Erzählfreude und handwerklicher Präzision buchstäblich zu Werke. Bei solch einem umfangreichen Musikstück gibt es unzählige Übergänge, Stimmungswechsel und unterschiedliche Erzählabschnitte, aber bei Enders und dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien ist alles auf den Punkt gearbeitet. Jeder Verlauf, alle Themenübergaben zwischen Instrumentengruppen, Dynamikverläufe und Zusammenklänge funktionieren immer und überall. Und nicht nur das, die Akkuratesse, mit der hier gespielt und gearbeitet wird, wirkt so effektiv im Hintergrund, dass bei den Hörer*innen einfach nur ein perfekter Hörgenuss ankommt – die ideale Darstellung eines sehr großen Stückes Musik, durch die man sich ganz auf das Erleben der musikalischen Geschichten konzentrieren kann.
Der erste Satz „I. Sehr bewegt“ bringt schon viele Stimmungs- und Gestaltungswechsel, wobei gerade die Streicher viel Verantwortung übernehmen, was beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit viel Lust am Musizieren geschieht. Dynamikverläufe passieren in perfekter Abstimmung, die Tongestaltung ist in genau richtigem Maß pathetisch. Der Großsymphonik der Streicher setzen die Bläser immer wieder wunderbare Melodien und Themen entgegen, aus den Streichern heraustretende Solo-Violinen verzaubern mit fragilem Vibrato. Manche sibeliuseske Stimmung wird von den Geigen mit flirrenden Ostinati gesetzt. Und dann spielen die Pauken herrlich theatralisch den Themenabschluss. So ist bereits der Beginn der Symphonie etwas für alle Beteiligten im Klangkörper, und bei all dem umfassenden Gestaltungswitz lächelt ab und zu sogar Richard Strauss um die Ecke.
Fabian Enders gestaltet gleich den ersten Satz mit viel Erzählimpuls, hält nicht hinter dem Berg, geht ganz hinein in Stimmungen und Emotionen. Beeindruckend baut das gesamte Ensemble im Satz „II. Langsam“ große Spannung auf in den langgezogenen Noten und langsamen Crescendi, ohne dann aber Spielwitz in den Solomelodien vermissen zu lassen. Der Übergang in „III. Äußerst schnell“ gelingt sehr organisch über die Dunkeltönigkeit und den einsetzenden, rhythmischen Puls der tiefen Streicher und Bläser, der dann ein dramatischeres musikalisches Kulissenbild hochzieht. Stürmisch werfen sich Bläser und Streicher in die verschiedenen Melodien und bringen dann auch wieder klar im Raum positionierte Impulse.
Es ist diese Variabilität und Vielfalt in der Ausführung, die mich so sehr an dieser Einspielung begeistert. Im letzten Satz „IV. Langsam – lebhaft“ setzt sich dies nur weiter fort, hier können die verschiedenen Blasinstrumente sogar mehrere Einzelimpulse gleichzeitig parallel setzen. Und nichts zerfällt, immer bleibt der Vortrag homogen, arbeitet die jeweils wichtigen Themen heraus und stellt in den Vordergrund, was dort hingehört.
Wer die erste Symphonie von Günter Raphael noch nicht kennt, der sollte sie schleunigst kennenlernen, und die Aufnahme von Fabian Enders mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien ist dafür die beste Möglichkeit!
Stefan Pillhofer













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