10-10-10 - Klassik Heute Empfehlung
"Was wären manche Werke ohne die ihnen nachträglich verliehenen Namen? Im Zeitalter der frühen Romantik und des Geniekults war Ludwig van Beethoven hier ein besonders „dankbares Opfer“. Dabei stammen nur die Adjektive „pathetique“ und „eroica“ von ihm selbst. Waldstein, Rasumowsky und „Erzherzog“ bezeichnen die Widmungsträger. „Hammerklavier“ ist schlicht eine Eindeutschung für Fortepiano. „Mondschein“, „Pastorale“ für op. 28, „Appassionata“ etc. wurden jedoch zumeist von geschäftstüchtigen Verlegern aus Marketinggründen erfunden. In manchen Fällen konnten sie sich dabei auf Andeutungen Anton Schindlers beziehen, der jedoch selbst über eine blühende Phantasie verfügte, um die eigene Wichtigkeit für das Leben des Komponisten zu untermauern.
Diesem Hausfaktotum Beethovens verdanken wir auch den Hinweis, dass der langsame Satz mit seinen mysteriösen Klaviertremoli des Trios op. 70/1 in D-Dur einen Bezug zur Geistererscheinung in „Hamlet“ haben soll. Genauso valide wäre jedoch eine zeitgeistmäßige Verknüpfung mit Gemälden C. D. Friedrichs wie dem „Mönch am Meer“ oder dem „Wanderer über dem Nebelmeer“. Originell ist allerdings, dass die geschüttelten Tremoli, die als Klangverstärkung durch die späten französischen Clavicinisten ab 1750 in Mode kamen und von Virtuosen wie Daniel Steibelt zum Standardtrick der Reisepianisten avancierten, hier vom Pianissimo ausgehend verwendet werden. Gänzlich originell ist die Großform des Werks jedoch nicht, hatte Beethoven doch bereits 1796 in der Klaviersonate op. 10/3 – ebenfalls in D-Dur - optimistisch kraftvolle Außensätze mit einem depressiven Mittelsatz in der Mollvariante kombiniert.
Das Konzert für Klaviertrio und Orchester op. 56 wird wegen der – im Gegensatz zum virtuos geführten Cello – weniger anspruchsvollen Partien für Geige und Klavier eher selten gespielt. Daniel Friedrich Emanuel Wilsing bearbeitete das Werk um 1840 für Klaviertrio ohne Orchester und wertete dadurch die bisher Vernachlässigten erheblich auf, so dass ein technisch außerordentlich anspruchsvolles Kammermusikwerk entstand.
Auch wenn es beim ARD-Wettbewerb 2018 noch Menschen im Publikum gab, die behaupteten, dass „echter Beethoven“ nur von Deutschmuttersprachlern gestaltete werden könne, gibt es mittlerweile genügend Ensembles die diesen Unsinn widerlegen. Zu diesen Ensembles gehört ganz klar das Beethoven-Trio-Bonn mit Jinsang Lee/Klavier, Mikhail Ovrutzky/Violine und Grigory Alumyan/Violoncello. Ihre Interpretation folgt Beethovens Notation bis ins Detail, ist immer spannend und zumindest auf Augenhöhe mit meiner derzeitigen Referenz vom Trio con Brio. Schwung, Verve und Tempi der Außensätze von op. 70/1 sind vergleichbar. Der mysteriöse Mittelsatz wird deutlich flüssiger genommen und wirkt dadurch dramatischer. Für mich beides vollgültige Lesarten. Das Arrangement des Tripelkonzerts ist technisch wesentlich anspruchsvoller als das Original. In der so bravourösen, wie eleganten Interpretation macht das Zuhören einfach nur Freude. Aufnahmetechnik und Booklet sind auf der Höhe des Gespielten.
Fazit: Eine höchst gelungene Einspielung des Geister-Trios wird ergänzt durch die Ersteinspielung einer seltenen Bearbeitung des Tripelkonzerts, die allein schon die Anschaffung lohnt. Klare Empfehlung."
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