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Beatrice Ballin

Orchestergraben: Interview mit der Pianistin Carmen Stefanescu

Ein Gastbeitrag von Beatrice Ballin

Das Klavier singen lassen. Unmöglich? Keinesfalls, wie die Pianistin Carmen Stefanescu mit ihrem gerade erschienen Doppelalbum „The Voice of Piano“ eindrucksvoll beweist. Beatrice Ballin sprach mit der außergewöhnlichen Künstlerin über ihre ebenso außergewöhnliche Einspielung.


Carmen Stefanescu, auf Ihrer neuen CD „The Voice of Piano“ geben Sie dem Klavier eine Solostimme. Sie lassen es „singen“, indem Sie Bearbeitungen von Kunst- und Volksliedern für Klavier solo interpretieren. Entstand diese Idee zu dieser Einspielung durch Ihre langjährige Tätigkeit als Liedbegleiterin?

Ja genau, ich liebe es, mit Sängern zu arbeiten, das Liedrepertoire ist so vielfältig und ausdrucksstark. Irgendwann hatte ich den tiefen Wunsch, die Melodiestimme so zu gestalten, wie ich es empfinde. Von dort war der Weg nicht mehr weit zu dem Gedanken, ein Programm zu entwickeln aus Lied-Bearbeitungen.

Egal, ob als Begleiterin oder als Klaviersolistin: Ist der Liedtext für Ihre Interpretation ebenso bedeutend wie die Liednoten? 

Der Liedtext ist für mich wirklich der entscheidende Faktor in Kombination mit der Musik. Er kann für mein Empfinden die Musik mit einer neuen Bedeutung füllen, oder sie ruinieren. Zum Beispiel sind die Gedichte von Baudelaire so ergreifend und lebendig, dass sie mich schon beim Lesen komplett in ihren Bann ziehen. Debussy hat diesen Gedichten mit seiner Musik eine weitere sinnliche Ebene hinzugefügt. Er kommentiert nicht, sondern malt Bilder der Landschaft und der Emotionen. Keiner kann es so wie er. 

Sie sagen, dass Sie für das Doppelalbum Stücke ausgewählt haben, die Ihnen in bestimmten Lebenssituationen besonders viel bedeutet haben. Können Sie ein Beispiel nennen?

Das rumänische Traditional nach Maria Tănase zeigt meine Wurzeln. Ich habe zwar schon mit sieben Jahren Rumänien verlassen, aber die Musik lässt mich immer noch Heimat spüren. Maria Tănase war die rumänische Édith Piaf, beide sind 1963 gestorben, beide verarmt. Maria sang als junge Sängerin im Biergarten meiner Urgroßmutter in Bukarest. Ich bat Andreas Winkler, den Kölner Komponisten, der einige Bearbeitungen für mich geschrieben hat, die auch auf der CD zu hören sind, dieses Lied für mich zu arrangieren. Herausgekommen ist eine wunderbare Fantasie über Themen des Liedes „Frică m-ie că mor ca mâine“

Die zwei Debussy-Chansons „Beau Soir“ und „Le Jet dˋ Eau“ waren die ersten Lieder, die ich mit einer Sängerin bei dem großartigen Liedgestalter Irwin Gage bei seinem Meisterkurs in Florenz begleitet habe. Ich bin danach von ihm eingeladen worden, allein wiederzukommen und bin einige Jahre nach Florenz gefahren, um mit ihm Liedbegleitungen zu verfeinern. Er war ein großartiger Lehrer und Pianist!

In meiner Leipziger Zeit hatte ich eine Wohngemeinschaft zusammen mit der Sopranistin Laetitia Grimaldi. Wir haben uns in dem halben Jahr, in dem wir zusammen gewohnt haben durch wahnsinnig viel Musik gespielt und gesungen, haben Konzerte gegeben beim WGT und im Mendelssohn Haus. Mit ihr habe ich zum ersten Mal Mahlers „Rückert-Lieder“ gespielt und Strauß‘ „Ständchen“. Ich habe diese wilde, verrückte Zeit geliebt, kurz bevor ich nach Köln zog.


Sie haben eine große Affinität zum Gesang. Haben Sie neben der Klavierausbildung auch eine Gesangsausbildung absolviert? Singen Sie privat, sei es bei Feiern oder unter der Dusche?  Falls ja: Was singen Sie?

Tatsächlich musste ich in meiner Band-Zeit manchmal die zweite Stimme singen. Um ehrlich zu sein, habe ich es gehasst. Manchmal müssen meine Schüler meinen Gesang ertragen.

Beim Üben singe ich manchmal tatsächlich, um den Text beim Spielen zu hören, aber niemals, wenn jemand mithört.

Welche Rolle hat (klassische) Musik in Ihrer Familie gespielt? Und wann erwachte in Ihnen der Wunsch, Klavier zu spielen?

Keiner meiner Eltern war Musiker, aber ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Meine Mutter war Tontechnikerin beim Rundfunk in Bukarest und brachte oft wunderbare Musik mit. Ich konnte als kleines Kind schon verschiedene Komponisten erkennen. Mein Großvater besaß ein altes Akkordeon und musste den Balg immer für mich aufziehen, damit ich auf den Tasten meine Melodien spielen konnte. Als ich vier Jahre alt war, fand mein Vater eine Annonce in der Zeitung, in der ein gebrauchtes Klavier angeboten wurde. Er fragte mich, ob ich es haben wollte. Die Antwort war natürlich, ja.

Sie sagen im Booklet Ihrer neuen CD, dass Claude Debussy Ihre erste (Komponisten-) Liebe war. Sie haben den „coup de foudre“ im Alter von 10 Jahren erlebt, als Ihre Klavierlehrerin Sie Stücke aus dem Zyklus „Childrens Corner“ spielen ließ. Ist er noch heute Ihre große musikalische Liebe? Oder bekamen Monsieur Debussy und Golliwog ernsthafte Konkurrenz?

Er ist es immer noch. Es gibt natürlich andere Komponisten, die ich wahnsinnig gerne spiele, Poulenc, Granados, Chopin. Aber auf dem Treppchen ganz oben steht unangefochten Monsieur Croche. 

Nach Ihrem Klavierstudium war mit der klassischen Musik erst einmal Schluss. Sie haben sich der Pop- und Rockmusik und dem Synthesizer zugewandt. Wie kam es dazu? 

Diese Geschichte ist wirklich wahnsinnig lang. Ich versuche, sie kurz zu halten. Ich habe mich nach meinem ersten Semester an der Musikhochschule wieder exmatrikuliert und bin in eine Reggae-Band eingestiegen. Ich wollte ausbrechen aus der – wie ich es damals empfand – spießigen Klassik-Szene, war mit dem Schlagzeuger dieser Band liiert und der Keyboarder stieg gerade aus. Also stieg ich ein. Zwei Jahre habe ich dort gespielt, danach kamen diverse Bands und so habe ich zehn Jahre lang in verschiedenen Pop, Rock und Cover Bands gespielt. 

Neben der Klassik haben mich Genesis, Deep Purple, Doors, Funk und Heavy Metal begeistert und tun es immer noch. 

Und was hat Sie dazu bewogen, zum Klavier und zur klassischen Musik zurückzukehren?

Wenn ich bei meinen Eltern war, wo mein Flügel stand, habe ich immer einen großen Bogen gemacht und ihn nie angefasst. Ich habe mich vor mir selbst so geschämt und habe meine geliebte Klassik so vermisst. Andererseits war ich auch zu stolz, es zuzugeben und ich dachte, ich sei zu alt dafür, schließlich war ich da schon über 20 ;-)))

Ein Chanson Programm, das ich mit einer Aachener Chansonette probte, hat mich zurückgebracht zum Klavier. Das war es dann, ich wollte nichts anderes mehr, habe mein Equipment verkauft und angefangen zu üben und zu unterrichten. Später fiel die Altersbeschränkung an den Musikhochschulen in NRW, ich bestand die Aufnahmeprüfung mit 35 Jahren und machte das Diplom mit Auszeichnung in sieben Semestern.

Klavier ist ein Hochleistungssport für die Hände und das Gehirn, der Rücken leidet. Wie halten Sie sich körperlich fit?

Ich mache Krafttraining zwei Mal pro Woche und Gyrotonics für die Dehnung.

Und wie sieht es mit dem „Freizeit-Ausgleich“ aus? Haben Sie außer dem Lied und der Musik noch eine andere große Leidenschaft oder gar mehrere Leidenschaften?

Ja, alte Autos, Classic Cars. Im Sommer fahre ich nur die alten Schätzchen. Ab und an mache ich auch bei einer Oldtimer-Rallye mit. 

Wie verbringen Sie die Tage, an denen Sie abends ein Konzert geben? Halten Sie bestimmte Rituale ein?

Am Tag des Konzerts spiele ich sehr langsam durchs Repertoire, bin ziemlich aufgeregt, was man mir aber zum Glück nicht anmerkt.

Carmen Stefanescu, vielen Dank für dieses Gespräch




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