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  • Ingobert Waltenberger, Feuilletonscout

"Roberte Mamou – ihr Spiel ist ein sofort wirkendes Lebenselixir"

"Variationenwerke fußen oft auf einfachen, populären musikalischen Themen, an denen große Komponisten ihre alchemistischen wie pädagogisch stilsicheren Verwandlungskünste vorführen wollen. Allerdings geht es hier nicht um die Wandlung wenig wertvoller Substanzen oder Metalle in Gold oder die Findung eines erlösenden universalmedizinischen Panaceums, sondern um schrittweise Veränderungen und um eine experimentelle Fortentwicklung von ausgewählten Melodien. Diese rühren auf der vorliegenden CD etwa von Giovanni Paisiello von dem aus seiner Oper „La molinara ossia L‘amor contrasto“ stammenden Duett „Nel cor non più mi sento“ (Beethoven), aus Willibald Glucks Oper „Armide“ (Hummel) oder einem Thema aus der „Air varié für Violine und Klavier, Op. 10, des französischen Geigers und Komponisten Pierre Rode (Czerny). (...)

... Unterhaltung, Anmut und salonhaft leichte Verdaulichkeit mischen sich mit verblüffendem Tiefgang in fein ziselierten musikalischen Strukturen.


Genau dieses Amalgam zu einem geschlossenen Ganzen zu fügen macht den singulären Reiz der Interpretation der belgischen Pianistin Roberte Mamou aus. Die Konzertpianistin mit tunesischen, spanischen, sardischen und deutschen Wurzeln teilt sich ihre Aktivitäten zwischen Paris und Brüssel. Sie ist leidenschaftliche Pädagogin und unterrichtet einige Monate im Jahr am Konservatorium in Brüssel. Mamou hält Meisterklassen in Bruges und hat ein Mozart-Festival in Lille ins Leben gerufen. Roberte Mamou liebt den musikalischen Austausch, sei es konzertant mit Orchester, kammermusikalisch mit gleichgesinnten Musikern oder natürlich mit ihren Schülern und Studenten. In all ihren Begegnungen sieht sie sprudelnde Quelle der Inspiration. Ihr Repertoire endet zeitlich bei Prokofjew. Da sie eine treue Seele ist, liebt sie Gesamtaufnahmen und die gründliche Erforschung einzelner musikalischer Kosmen. Besonders geschätzt wird ihre Kunst in Frankreich, Belgien und Japan. So wurde Mamous Gesamtaufnahme der Mozart-Sonaten im Februar 2016 in Japan mit dem „Best Award“, der höchsten Auszeichnung des Geijutsu Record Magazines, gewürdigt. Der Grund, warum sie hierzulande weniger bekannt ist, ist vielleicht auch darin zu suchen, dass die meisten ihrer Aufnahmen bei in Deutschland wenig promoteten Labels wie Pavane oder Ligia Dig erschienen sind. Könnte ja sein, dass sich das durch ihre erste Aufnahme für das deutsche Label ARS Produktion nun ändert.

Die legendäre Pianistin steht von ihrer ausschließlich dem Werk verpflichteten Interpretation stilistisch der ebenso legendären Rosalyn Tureck nahe. Tureck wird zu Recht als Hohepriesterin der Musik Johann Sebastian Bachs bezeichnet. Auch Roberte Mamou ist einer grundlegenden Einfachheit im Spiel und einer bedingungslosen Wahrheit im Ausdruck verpflichtet. Eitelkeit, etwaige Anbiederungen an PR-Erwartungen oder einen nebulösen Zeitgeist bzw. irgendwelchen Moden liegen ihr fern. Sie nimmt sich alle Zeit der Welt, um Themen aufblühen zu lassen, die Musik im Raum aufzufächern und den populären Variationenwerken in all ihrer Verspieltheit eine erstaunliche Ernsthaftigkeit zu verleihen. Ihr klarer Anschlag, der wohltuend sparsame Einsatz des Pedals, die überaus fein dosierten Rubati, die aus der der Musik zugrunde liegenden Emotion geborene Farbgebung vermögen die Zuhörer in eine andere, entschleunigte Welt zu entführen. Dieser Ansatz betont den meditativen Charakter der Musik, ihre Spiritualität, die Künstlerin geizt aber auch nicht – wohl im Wesen einer Variation begründet – mit Dramatik oder Humor.

Mamous Spiel atmet eine aristokratische Duftigkeit (Beethoven), einen mit Wehmut durchzogenen poetischen Glanz (Haydn), Eleganz (Czerny), ein kalligraphisches Auskosten der Verzierungen bzw. ein sternspritzendes Perlen der Läufe wie bei einer Spieluhr (Hummel). Die Pianistin scheint in den elegischeren Passagen Musik zu traumverlorener Ewigkeit gerinnen zu lassen. Dort, wo das Leben nichts will und nichts erstrebt, außer der Schönheit des Augenblicks zu huldigen. Hören Sie sich das Impromptu in B-Dur D 935 Nr. 3 von Franz Schubert an und Sie werden wissen, was ich meine. Also ist nicht Roberte Mamou die wahre Alchemistin? Sie vermag der Musik nämlich einen Zauber zu entlocken, der mehr wert als kalt im Safe schlummerndes Gold ist und auf alle Fälle vom Alltag Gehetzte für eine Stunde Ruhe finden lässt.

Außerdem wird viele überraschen, wie einfallsreich Komponisten wie Czerny trotz seines enormen kompositorischen Schaffens (Carl Czerny hat unter seinen 1000 Kompositionen alleine 180 Klavierstücke mit Variationen geschrieben) oder Johann Nepomuk Hummel ihre Variationenzyklen gestalteten und durchaus mit dem frühen Beethoven mithalten können.

Mehr als eine Empfehlung. Das Album ist nichts weniger als der klingende Beweis, was die Kunstform Musik und eine wahrhaftig große Interpretation mit Ewigkeitswert in einer schnelllebigen Zeit zu leisten vermögen. "






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