"Thilo Dahlmann und Hedayet Jonas Djeddikar entdecken den Liedzyklus «In Memoriam» von Norbert Glanzberg
Theodor W. Adornos Verdikt steht nach wie vor wie in Stein gemeißelt im öffentlichen Diskursraum: «Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch!», so heißt es wortwörtlich in Adornos 1949 geschriebenem, zwei Jahre später veröffentlichtem Aufsatz «Kulturkritik und Gesellschaft». Was der Philosoph womöglich nicht bedachte, war die Tatsache, dass es Überlebende der Shoah gab, denen es gerade deswegen, weil sie selbst dem Grauen in den Rachen geblickt hatten oder von ihm in irgendeiner Art betroffen waren, ein innerstes Bedürfnis sein konnte, sich mit Worten und/oder Klängen zu befreien.
Einer dieser Überlebenden war der völlig in Vergessenheit geratene österreichisch-jüdische Komponist Norbert Glanzberg.
1910 in Lemberg (heute die ukrainische Stadt Lwiw) geboren, übersiedelte die Familie bald darauf nach Würzburg, wo Glanzberg ein Klavier- und Kompositionsstudium aufnahm. Emmerich Kálmán entdeckte das Talent des jungen Mannes und förderte ihn nach Kräften – mit dem Resultat, dass dieser schon bald als Filmkomponist reüssierte und unter anderem auch Songs für die Comedian Harmonists schrieb. Als Hitler an die Macht kam, floh Glanzberg nach Paris, wo ihn die Bekanntschaft mit Edith Piaf (die ihm Obdach gewährte) vor dem völligen Absturz bewahrte. Als Komponist trat er in dieser Zeit nicht in Erscheinung; erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges machte er mit Chansons unter anderem für die Piaf, Yves Montand und Mireille Mathieu auf sich aufmerksam. Erst sehr spät, im Alter von 60 Jahren, wandte sich Glanzberg der sogenannten «ernsten» Musik zu und komponierte Lieder, die sich mit der Frage einer jüdischen Identität und dem Schicksal jüdischer Künstlerinnen und Künstler nach 1933 beschäftigten. Eines der Ergebnisse dieser poetisch-ästhetischen Auseinandersetzung ist der Zyklus «In Memoriam».
Grundlage dieser Sammlung bilden (auf Deutsch verfasste) Gedichte einer Anthologie, die der Komponist 1984 entdeckt hatte, sie enthält mehrheitlich Verse, die von Inhaftierten, teils zum Tode verurteilten und von den Nazis ermordeten Dichterinnen und Dichtern stammen. Dem Bassbariton Thilo Dahlmann und seinem Klavierpartner Hedayet Jonas Djeddikar verdankt sich die Tatsache, dass dieser Zyklus nun auch auf einem Album vorliegt, das, gleichsam als folkloristisch-musikantisches Gegenbild, eine Auswahl aus den «Deutschen Volksliedern» (WoO 33) von Johannes Brahms enthält.
Leichte Kost ist es nicht, denkt man nur an das Lied «Der Ofen von Lublin» auf ein Gedicht von Theodor Kramer. Der österreichische Dichter jüdischer Herkunft schrieb es im englischen Exil, nachdem er von der Ermordung seiner Mutter im KZ Theresienstadt erfahren hatte. «Es wurden viel Menschen aus jeglichem Land / Vergast und noch lebendig verbrannt / Im feurigen Schacht von Lublin», lautet die zweite Strophe. Glanzbergs Musik drückt dieses Grauen mit einer expressionistischen Unverblümtheit aus, die von den Interpreten eindrücklich vermittelt wird.
Noch drastischer sind die Hintergründe des Liedes «Greta», dessen Verse Adam Kuckhoff, der selbst in Berlin-Plötzensee ermordet wurde, kurz vor der geplanten Hinrichtung seiner Ehefrau zu Papier warf, nicht wissend, dass das Todesurteil für die kommunistische Widerstandskämpferin kurz darauf in eine zehnjährige Haftstrafe umgewandelt wurde. Die elegisch-wehmütige Melodielinie trägt beinahe chansoneske Züge, das Lied mutet über weite Strecken an wie eine spätromantische Schwärmerei eines Liebenden, läuft aber dann gewissermaßen in die (tödliche) Leere. Ähnliches gilt für die Vertonung von Kuckhoffs Gedicht «Für Ule», das er als Abschiedspoem für seinen damals fünfjährigen Sohn geschrieben hatte. Kompositorisch und stilistisch mögen Glanzbergs Vertonungen nicht allerhöchsten Ansprüchen genügen; was sie zu einem bedeutenden Zeitdokument macht, ist der erschütternde Kontext. Doch gibt es auch Lieder, die durch ihre radikale Klangsprache für sich einnehmen, so etwa «Die letzte Epiphanie» auf Verse Werner Bergengruens. Die massiven, cluster
artigen Akkorde des ohnehin dunkel «timbrierten» Bösendorfer-Flügels evozieren eine nahende Bedrohung, auch die Gesangslinie wird ständig harsch unterbrochen; Schönheit entfaltet sich hier in keinem Takt.
Dass sie gleichwohl selbst im Moment des nahenden Todes möglich ist, zeigt das Lied «Abschied» auf ein Gedicht des Wiener Widerstandskämpfers Hubert Gsur, das dieser unmittelbar nach der Verkündigung des gegen ihn erwirkten Todesurteils niederschrieb. Die anfänglichen, stark insistierenden Sekundreibungen werden aufgeweicht, über gleichsam unschuldig hin- und herwogenden Dreiklängen à la Bellini entfaltet sich für Momente eine beinahe blühende Melodie. Doch das vom Dichter herbeigesehnte «Himmels Blau» verdunkelt sich alsbald, die letzte Strophe, von Glanzberg wieder mit den karstigen Klängen des Beginns umrahmt, erzählt davon: «Und wie ich Sonnenlicht mit euch noch teile, / Winkt mir der Bote schon des dunklen Herrn. / Es scheint und über eine kleine Weile / Bin ich verweht, stumm scheidet Stern um Stern.»"
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