"Wechselspiel der Emotionen"
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Aktualisiert: vor 1 Stunde
"Dass Natalia Ehwald, die 1983 in Weimar geboren wurde, dort die Musikschule „Schloss Belvedere“ besucht hat und dann als 16-Jährige an die Sibelius-Akademie in Helsinki wechselte, lange Zeit, nämlich elf Jahre lang, bei Evgeni Koroljov in Hamburg studiert hat, macht sich bei dieser Aufnahme mit Werken von Schubert, deutlich bemerkbar: Sehr kontrolliert und ausgefeilt ist ihre Phrasierung und gedankentief, ja oft gedankenschwer ist ihre Interpretation.
Dies sogar in der eigentlich so sonnig und rein singenden A-Dur-Sonate D 664: Die Pianistin will hier nie „einfach nur spielen“, sondern immer Bedeutsamkeit vermitteln, so dass man dem doch so idyllischen A-Dur-Frieden nie ganz traut. Sehr gut bindet sie die „plötzlich lärmenden Oktaven der Durchführung“ (so Andreas Krause im „Schuber-Handbuch) in den musikalischen Verlauf ein und gibt ihnen mit sonorer Wucht Bedeutung. Schwermut und wehmütige Zartheit herrscht im Andante, bis im Finale endlich, mit hörbarem Vergnügen der Pianistin am munteren 6/8-Takt, sprudelnde und klangglitzernde Freude ausbricht.
„Molto moderato“ steht über dem Kopfsatz der B-Dur-Sonate D 960, der letzten Klaviersonate von Schubert, und dieses „molto“ nimmt Natalia Ehwald sehr wörtlich, beginnt langsam und bedeutend, leise murmelnd und dann leise drohend mit dem bedeutsam ausgespielten Ges-Dur-Triller, der mit bedrohlichem Beben aus der Bass-Unterwelt immer wieder eine mögliche Idylle stört und das an sich heitere Seitenthema unheiterer, ängstlicher, ja zitternder macht. Die zahlreichen Pausen sind wie Angst-Löcher, wie Stocken vor Ungewissheit. Sehr durchdacht ist die harmonische Rückung nach cis-Moll wie staunend gestaltet und die Quinten und Oktaven klingen fast wie vorgezogene Tintinnabuli-Klänge, die eigentlich Arvo Pärt „erfunden“ hat. Die wie unendlich oft wiederholte Melodie des Hauptthemas belebt die Pianistin durch sorgfältig gewählte und variantenreiche Agogik und Dynamik. Die „Bußklage“ des Andante klagt ganz verinnerlicht, fast ersterbend, wie im Irrsinn kreiselnd kommt das Scherzo, wobei das Trio mit den deutlich herausgespielten Akzentverschiebungen wie auskomponiertes Stolpern wirkt. Die Kreiselbewegung wird wieder aufgenommen im Finale, dessen Forte-Stellen drohend gedonnert werden: existentielle Unsicherheit allenthalben.
Bei all dieser Bedeutsamkeit fallen programmatisch die ausgewählten Ländler, Walzer und Valses sentimentales ab, die zwischen den beiden Sonaten vermitteln, auch schon wegen ihrer oft extremen Kürze. Es entsteht die Wirkung eines ewig sich drehenden Tanzes – eine weitere Klavier-Sonate wäre meiner Meinung nach besser gewesen. Natalia Ehwald sucht auch hier mit unendlich weichem Anschlag die Dauer-Wehmut, nimmt alle Tänze ernst und etwas trauerumflort – aber immer mit rhythmischem Zug."
Rainer W. Janka

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