In trauter Zweistimmigkeit
- bz Basel
- 6. Juli
- 4 Min. Lesezeit
Beim Basler Musikerpaar Gudrun Sidonie Otto und Andreas Liebig hängt der Himmel voller Orgelpfeifen
Eine zeitweilige Liaison gehen all jene ein, die miteinander musizieren. Man atmet synchron, pausiert, fängt einander auf, hält Dissonanzen aus und sucht nach Einigkeit. Manche dieser Verbindungen halten indes über den Schlussstrich: etwa die von Gudrun Sidonie Otto und Andreas Liebig. Wer gelegentlich den üppigen Kalender der Orgelkonzerte im Basler Münster studiert, dem dürften sie keine Unbekannten sein. Seit 2014 amtet Andreas Liebig als Basler Münsterorganist, regelmässig steht dabei seine Frau Gudrun Sidonie Otto an seiner Seite, ihrerseits Konzertsängerin und Pfarrerin.
Zwischen Konzertsaal und Kanzel Manchmal gelingen ihnen die besten Momente aber auch, wenn kaum eine Menschenseele zuhört: So etwa im Oktober 2023, weit nach Mitternacht, da hallte J. S. Bachs Fantasie in g-Moll aus den Orgelpfeifen durch das totenstille Kirchenschiff. Eine zarte Sopranstimme folgte a cappella, mit einer Komposition wie ein vertontes Gebet. Zugegen war lediglich noch ein Tonmeister mit einigen hochsensiblen Mikrofonen: Auf der Doppel-CD «Nostalgia» und «De Profundis», zu Deutsch «aus der Tiefe», kann man deshalb nachhören, wie das damals klang. Worin diese Tiefe besteht, von der in den eingespielten Stücke die Rede ist, wird oft verhandelt
an diesem Morgen, als wir das Musikerpaar für ein Gespräch auf der Münster-Empore
treffen. Was ist es, das die Kompositionen von J. S. Bach oder Antonín Dvořák im Innersten
zusammenhält? Was ist dieses «Mehr» in der geistlichen Musik, nicht nur der Zerstreuung,
sondern der spirituellen Erhebung zu dienen? «Es ist schwer zu erklären», sagt Gudrun Sidonie Otto mehrfach. Die Worte findet sie dennoch, wählt sie immer mit Bedacht und manchmal mit fragendem Seitenblick. «Ich will nicht nur Lärm und Geräusch erzeugen. Wenn ich singe, dann
muss es eine Notwendigkeit haben.» Diese Ernsthaftigkeit, mit der sie sich Text und Ton nähert, kommt ihr in ihrem Zweitberuf zugute. Nachdem sie nach der Geburt ihrer Tochter vor dreizehn Jahren kurzzeitig die Stimme verlor, entschied sie sich für ein Theologiestudium, 2020 wurde sie zur Pfarrerin in der evangelisch-reformierten Kirche Binningen-Bottmingen berufen.
Dass der Glaube untrennbar mit ihrer Musik verwachsen ist, geht in ihren beiden Biografien
weit zurück. Liebig wurde 1962 in der Stadt Gütersloh in Westfalen geboren und besuchte das
dortige Evangelisch Stiftische Gymnasium, wo ihn seine Klavierlehrerin dazu anregte, dem
Kirchenmusikdirektor vorzuspielen.
Auf der anderen Seite der Mauer wuchs Otto zu DDR-Zeiten im deutschen Erzgebirge auf. Über
Religion wurde in der sozialistischen Gesellschaft kaum gesprochen, dafür über Kultur: 76
Orchester zählte die DDR damals, erzählt Otto. «Bachs Weihnachtsoratorium habe ich
mit der Muttermilch eingesogen », sagt die 46-Jährige. Doch gleichermassen faszinierten sie
die Worte, die unter den Notenlinien gedruckt waren: Zeilen aus den Evangelien, Gebete,
Psalmen.
Voneinander spricht man in höchsten Tönen
Ihre gemeinsame Geschichte beginnt dort, wo eine solche Geschichte beginnen muss: nämlich
bei einem Konzert. Gespielt wurde Carl Emmanuel Bachs «Die Israeliten in der Wüste»,
man befand sich auf einem kroatischen Barockfestival. Otto sang, Liebig hörte zu. Ihren Namen
konnte er sich nicht merken, dafür ihre Stimme. Ersteren brachte er am Folgetag via Betriebsbüro in Erfahrung und lud die Sopranistin zu einem seiner Festivals nach Ostfriesland ein. Später kamen sie als Paar in die Schweiz, erst nach Winterthur und dann, über den Kontakt
zum damaligen Knabenkantorei-Leiter Markus Teutschbein, nach Basel.
Hört man ihnen beim Erzählen zu, so singen sie selbst im Gespräch dasselbe Lied. Das
Wort wird nahtlos übergeben, man hört aufmerksam zu oder weist sich unmerklich an, Takte
auszulassen oder an Tempo zu gewinnen. Voneinander spricht man nur in höchsten Tönen.
Und immer wieder kehrt das Gespräch zurück zu dem, was hinter oder zwischen den Noten
liegt. «Ich bin ein Durchlauferhitzer. Ich bin nur ein Gefäss, um die Musik zu transportieren.
Je weniger Ego drin ist, desto besser», sagt Otto, und Liebig knüpft an: «Im Gegensatz zu
deinen Stimmbändern erreiche ich meine Tonventile nur über eine bis zu dreissig Meter lange
Konstruktion. Wie schaffe ich es also, dass die Orgel lebt, die Töne glühen?» Und Otto: «Du
musst die Seele des Instrumentes finden.»
Die Kirchenmusik muss nicht «cool» sein
Auch diese Suche, dieses Abhören, ist etwas, was die beiden verbindet. Um alle Register optimal
auszutarieren, reist Liebig nicht selten zwei Tage früher zu einem Konzertort. Otto hingegen
wendet mindestens eine Stunde auf, um den einen Quadratmeter zu finden, an dem ihr Klang am besten trägt. Kirchenräume eigneten sich dafür besonders gut, sagt Otto. Doch selbst bei aller musikalischen Differenziertheit bleibt ihnen das «Warum» stets wichtiger
als das «Wie». Es liegt vielleicht eben daran, dass sich das Paar um das Überleben der Institution Kirche wenig Sorgen macht. Allerdings: Die «Modernisierungsversuche
» halten beide nicht für das richtige Mittel gegen den Mitgliederschwund.
«Durch diese Anbiederung verliert die Kirche ihre ureigene Sprache», gibt Liebig zu bedenken.
«Im Bewahren des Guten muss die Kirche konservativ bleiben. Und zugleich offen für
Erneuerung sein.» Und auch was Kirchenmusik betreffe, müsse die Kirche bitte nicht
«cool» werden, ergänzt Otto. Ein Beitrag zur gepflegten Bewahrung leisten die beiden
mit ihren neuen Alben. Doch: Nach all den gefundenen Worten würden Andreas Liebig und
Gudrun Sidonie Otto am liebsten alle wieder zurücknehmen. «Das Album ist eine Einladung,
jenseits aller Worte einfach nur zuzuhören.»
Kathrin Signer













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