Interview mit der Sopranistin Gudrun Sidonie Otto
- Orchestergraben
- vor 2 Tagen
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Ein Beitrag von Beatrice Ballin
Zwei außergewöhnliche CDs – „De profundis“ und „Nostalgia“ – haben der Basler Münsterorganist Andreas Liebig und die Sängerin Gudrun Sidonie Otto in diesem Jahr veröffentlicht. In beiden Einspielungen fasziniert die Sopranistin mit ihrer klaren Stimme und ihrer transzendent anmutenden Interpretation. Beatrice Ballin wollte mehr über die brillante Künstlerin wissen und befragte sie zu ihrer Musik und ihrer Vita.
Soeben ist Ihre CD „Nostalgia“ erschienen, auf der Sie zusammen mit Ihrem Ehemann, dem Basler Münsterorganisten Andreas Liebig, die Biblischen Lieder von Antonin Dvorak mit Johannes Brahms‘ Choralvorspielen op. posthum 122, beides Spätzyklen der Komponisten, aufgenommen haben. Wie sind Sie auf den Titel „Nostalgia“ gekommen?
Sowohl Johannes Brahms als auch sein von ihm hochgeschätzter und geförderter Freund und Schützling Antonin Dvorak verarbeiten mit diesen „Gebeten“ Schmerz und Verlust. Man muss sich vorstellen: Dvorak ist gerade in New York Direktor des dortigen Konservatoriums, er vermisst seine Heimat und seinen Vater, der dort weit von ihm entfernt im Sterben liegt. Brahms wiederum schreibt die Choräle erschüttert vom Schlaganfall und Tod seiner geliebten Clara. Es ist das Letzte, was er überhaupt schreibt, „O Welt, ich muß dich lassen“ seine allerletzten Noten. Aus beiden Zyklen spricht für mich dadurch solch eine Sehnsucht nach Frieden, nicht nur nach irdischem Frieden, sondern auch die Sehnsucht nach jenem Frieden, aus dem wir alle einmal kamen – und wohin wir gehen – vielleicht. In dem Titel „Nostalgia“ darf auch etwas von Tarkovskys Filmklassiker mit anklingen, arbeitete er doch mit Bildern auf ganz verschiedenen Bedeutungsebenen, Seelenbildern sozusagen. Diese sehe ich auch in den beiden Zyklen von Dvorak und Brahms. Psalmen sind für mich wie in Bild gegossene Gebete. Und diese Sehnsucht nach wirklichem tiefem Frieden, nach einer „RückbeSinnung“ auf etwas „Sinn-volles“: Ich erlebe gerade so viele Menschen, die wieder danach suchen.
Gudrun Sidonie Otto, ich muss Ihnen ein Geständnis machen: Beim Hören Ihrer gerade erschienenen CD „Nostalgia“ sind mir die Tränen in die Augen gestiegen. Ihre schöne, engelgleiche Stimme hat mich zutiefst berührt. Das passiert mir, als „abgebrühter“, erfahrener Musikjournalistin, eigentlich nie. Auch die Kritiker lobten und loben Sie für Ihr hellfeminines Edeltimbre und Ihren sternenklaren Sopran. Wann wussten Sie denn, dass Sie Sängerin werden wollen?
Danke für Ihre Worte. Sie berühren mich sehr. Ich wollte nie Sängerin werden, sondern „Opernschauspielerin“. Und diesen Begriff, den habe ich wohl schon mit acht oder neun Jahren gebraucht. Mit 14 Jahren stand ich dann wirklich das erste Mal solistisch auf der „Opernbühne“ mit dem Singspiel Bastian und Bastienne von Mozart gemeinsam mit der Robert Schumann Philharmonie Chemnitz. Es war wunderbar.
Stammen Sie aus einer Musikerfamilie? Wie haben Ihre Eltern auf Ihren Berufswunsch reagiert?
Nein, aus einer Musikerfamilie stamme ich nicht. Im Gegenteil: Meine Eltern haben anfangs meinen Berufswunsch nicht ernst genommen. Doch als ich dann wirklich Ernst machte, waren sie nicht erbaut davon. Sie hatten Sorge, ob ich denn von Musik leben könnte, und versuchten mir alle möglichen anderen Berufe schmackhaft zu machen. So hatte ich z.B. die Aufnahmeprüfung in der Geigenbauschule Markneukirchen wie auch die zur Musiktheaterregisseurin in Hamburg in der Tasche, ehe ich Ihnen den Studienplatz für Gesang vorweisen konnte.
Wo haben Sie Ihre Ausbildung absolviert?
Meine sängerische Ausbildung habe ich vor allem an der Musikhochschule in Weimar genossen, einer kleinen, aber feinen Hochschule mit vielen Möglichkeiten inmitten einer lebendigen Kulturlandschaft.
Wie haben Sie Ihr Studium empfunden? Gab es Momente, wo Sie Zweifel an sich und Ihrer Berufswahl hatten?
Mein Studium in dieser kleinen Stadt kann ich nur als toll bezeichnen. Und, nein, ich selbst zweifelte eigentlich nie. Meine Lehrer schon. Doch sie haben sich schlussendlich geirrt, denn mit 24 Jahren, noch vor dem Diplom, hatte ich schon meine erste Stelle an den Landesbühnen Sachsen in der Tasche.
Sie haben dann auf internationalen Opernbühnen und Konzertbühnen gesungen und mit namhaften Dirigenten zusammengearbeitet. Gibt es ein Konzert oder eine Aufführung, die Sie in besonders guter Erinnerung haben?
Ein einzelnes Konzert oder eine einzelne Rolle zu benennen, ist schwierig. Jeder Auftritt ist einzigartig, schön und immer wieder neu. Besonders habe ich die Zusammenarbeit mit Enoch zu Guttenberg geschätzt, der einfach für die Musik brannte, egal was kam. Und dieses Brennen ist es, was ich selbst so liebe. Aber im Musikbusiness erlebe ich das immer seltener. Heute scheinen es oft die eher unbekannten KünstlerInnen zu sein, die für die Musik brennen als die großen Namen. Sich gut vermarkten zu können geht offenbar nicht parallel einher mit dem Brennen für die Kunst. So empfinde ich es jedenfalls.
Gehören Sie eher zur Kategorie routinierter Profi oder plagt Sie das Lampenfieber und Sie fragen sich vor jedem Auftritt, warum um Himmels Willen Sie diesen Beruf ergreifen mussten?
Lampenfieber habe ich nur, wenn ich irgendjemandem gefallen will. Wenn ich ganz bei mir und in den Werken sein kann, ist mir alles ringsherum egal. Dann existiert auch kein Lampenfieber.
Sie haben vorübergehend Ihre Stimme verloren? Wie ist das geschehen?
Tja, meistens ziehen wir das an, was wir gerade nicht haben wollen. Ich wollte bei der Geburt unserer Tochter keinen Kaiserschnitt und bloss keine Intubation. In einer lebensbedrohlichen Notlage habe ich leider beides bekommen. Durch diese Notintubation waren eine Zeit lang meine Stimmbänder ruiniert. Doch heute sage ich: Welch ein Glück! Ich habe dadurch so viel gelernt, nicht nur stimmtechnisch! Natürlich war dieser Weg damals kein Spaziergang, aber wohl notwendig.
Sie haben parallel zu Ihrer Solistenkarriere ein Theologiestudium absolviert, das Sie 2019 mit dem Master abgeschlossen haben. Kurz: Sie sind Sängerin und Pfarrerin. Sie haben aber auch in einem früheren Interview gesagt, dass Sie in einem atheistischen Elternhaus aufgewachsen sind. Wie kam es zu dieser doch sehr ungewöhnlichen Entwicklung?
Ja, ich bin atheistisch-humanistisch aufgewachsen. Zur Zeit meiner Kindheit in der DDR war es als Musikschülerin üblich, in Altenheimen oder eben auch in Kirchen aufzutreten. Nun komme ich aus der Region J. S. Bachs. In jedem kleinen Ort führte der Kirchenchor, diese gab es, das Weihnachtsoratorium auf (die Bonzen saßen dann selbst bei der Aufführung auf der Empore). Auch barocke Kantaten, kleine Lieder usw. wurden in Gottesdiensten aufgeführt. In der Beschäftigung mit dieser Musik kam ich einfach nicht umhin Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Die fand ich dann in einem sehr regen, kulturellen und musikalischen Gemeindeleben.
Heute sind Sie Pfarrerin in der der reformierten Kirchgemeinde Bingen-Bottmingen bei Basel. Welche Rolle spielt die Musik bei Ihrer Gottesdienstgestaltung?
Die Trennung von Musik und Gottesdienst erlebe ich immer wieder. Nur, für mich gibt es sie nicht. Und so wird für mich auch jeder Gottesdienst zu einem „Konzert“: in der Dramaturgie der Liturgie, in seiner Form, aber eben auch in der Musik. Musik darf nicht banal nebenher plätschern als Lückenbüßer. Sie muss notwendig zum Thema, zur Essenz des Gottesdienstes passen, sonst ist sie nur Geräusch. Dann doch lieber gleich einfach nur Stille!
Ziehen Ihre Gottesdienste auch Zuhörer/Gläubige über die Grenzen Ihres Kirchensprengels hinaus an?
Nun, ich frage nicht jeden einzelnen Besucher, woher er kommt, doch, ja, ich denke schon…
Sie sind nicht nur Pfarrerin und Sängerin, sondern haben auch eine Familie: Wie eingangs geschrieben sind Sie mit dem Basler Münsterorganisten Andreas Liebig verheiratet und Sie haben zwei Töchter. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut? Müssen Sie Prioritäten setzen?
Nein, Ich bringe alles nicht unter einen Hut. In der derzeitigen Gesellschaft gibt es dieses Hochglanzbild einer Karrierefrau, die mit Leichtigkeit Familie, Profession und Liebesleben managet und dabei noch super toll aussieht. Ich halte das für Quatsch. Zeigen Sie mir eine Frau, der das wirklich, nicht nur als idealisierte Fiktion, ohne weitere Hilfe gelingt. Nein, alles zu managen, allem vollständig gerecht zu werden, ist ein ständiges Ringen, ein ständiger Spagat, ein ständiges Auf und Ab. Nur denke ich mittlerweile, vielleicht braucht es genau das, um künstlerisch arbeiten zu können. Ich denke, es geht heute für uns Frauen viel mehr darum, sich selbst das Scheitern an all diesen Erwartungen einzugestehen, ja, es zu erlauben und zu akzeptieren. Wir haben unsere CDs nur in der Nacht aufnehmen können, am Tag wären die Außengeräusche zu laut gewesen. Natürlich lief tagsüber der normale Familienalltag weiter. Während ich sang, war ich zugleich hundemüde und hellwach. Und trotz aller Müdigkeit, mit der Materie, dem ganz menschlichen Auf und Ab zu arbeiten, hat für mich genau dieses die Musik ausgemacht: „Hör mein Bitten…“ Diese Musik kommt nicht aus dem Elfenbeinturm, sondern aus einer, vielleicht völlig subjektiven, aber tief empfundenen menschlichen Notwendigkeit.
Woraus schöpfen Sie in persönlichen Krisen mehr Kraft, aus dem Glauben oder aus der Musik?
Wie gesagt, für mich existiert diese Trennung nicht. Zeigen Sie mir Repertoirestücke, die nicht inspiriert sind, die nicht in sich irgendeine Art von Trost, von Ordnung, von Schönheit tragen.
Im Booklet Ihrer in diesem Sommer erschienenen CD „De Profundis“ schreiben Sie „Wie können wir wieder Frieden finden – in uns und den Stürmen dieser Welt?“ Wie erreichen Sie Ihren persönlichen Frieden in diesen Zeiten, die von Kriegen, Katastrophen und nicht zuletzt machthungrigen Narzissten geprägt werden?
Ich glaube an eine höhere Ordnung, an eine Ordnung, einen Frieden hinter allem. Für mich ist Musik nichts anderes als die schönste Ordnung, die wir auf Erden erleben können. Vielleicht ist diese Ordnung in unserem Kulturkreis derzeit eher in der Musik als in der institutionalisierten Religion zu finden. Aber diese Ordnung, diese Schönheit, die Stille und Verbundenheit hinter allem, ist für mich in Spiritualität und Musik, in Gebet und Klang, die gleiche. Im Vertrauen darauf und im Versuchen, dieser Ordnung entsprechend zu leben, so gut es geht, darin finde ich bis jetzt immer wieder meinen eigenen Frieden.
Gudrun Sidonie Otto, vielen Dank für dieses Interview!













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