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"Mit diesem Raritätenalbum holen Sie sich einen kleinen Abstecher nach Süden ins Haus, kostengünstig, umweltschonend und einfach beglückend."

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IL SUONO RITROVATO – ANTONIO VIVALDIS Orgelkonzerte RV 541,542, 554, 766 und 767 als überwältigende Klanggemälde; inAURES


In Basel hat zudem der in Treviso geborene Organist und Cembalist Giulio De Nardo 2021 das Ensemble Sestier Armonico gegründet. Damit nicht genug, hat Nardo gemeinsam mit der spanischen Cembalisten Inés Moreno Uncilla das Label inAures ins Leben gerufen. In dem nunmehr vorliegenden, der Musik Antonio Vivaldis mit obligater Orgel gewidmeten Debüt-Album ist schon an der liebevollen Gestaltung und der wissenschaftlich fundierten Hintergrundinformation, nicht zu reden von der spektakulären künstlerischen Qualität, der Aufsehen erregende Anspruch in Richtung „Gesamtkunstwerk“ (ganz und gar zutreffende Formulierung von Monika Csampai) zu spüren.


Gemeinsam mit Claudio Rado (Violine), Priska Comploi (Oboe), der Sängerin Francesca Ascioti (Alt), den Leuten von Sestier Armonico unter der musikalischen Leitung des Orgelsolisten Giulio De Nardo sind die heimlichen Stars des Unterfangens freilich in Venedig zu finden: Eine anonyme venezianische Orgel des 18. Jahrhunderts und die Pescetti Orgel von Polcenigo.


Alle präsentierten Stücke werden in ihrer originären Gestalt dargeboten – z.B. kein Ersatz von Orgel und Oboe im Tripelkonzert in C-Dur, RV 554, durch eine zweite Solovioline bzw. ein Cello – und damit der allseits grassierenden Arrangement-itis in den mehr oder weniger hübschen Allerwertesten getreten. Dazu kommt, dass in der quirligen Wiedergabe der Quartettsonate in C-Dur für Oboe, Violine, Orgel und optionales Chalumeau, RV 779 natürlich auch dieser ältere „Cousin der Klarinette“ (Michel Talbot) zu Ton kommt. Als Clou des Ganzen wird diese Sonate auf einer seltenen Orgel des Giacinto Pescetti, seines Zeichens Orgel- und Cembalotechniker der Pietà zu Zeiten Vivaldis, gespielt. Vivaldi hat sich für die Aufführung dieser viersätzigen Sonata selbstverständlich des Pescetti-Instruments der Pietà bedient, wobei er sogar die Namen der damals beteiligten vier offenbar großartigen Musikerinnen in einem Autograf festgehalten hat. Da die Findelkinder der Pietá keine Nachnahmen hatten, wissen wir wenigstens die Vornamen der glorreichen jungen Frauen: Prudenza (Violine), Pellegrina (Oboe), Lucietta (Orgel) und Candida (Chalumeau).


Für das Programm des Albums hat Giulio De Nardi fünf Konzerte (RV 554 in C-Dur für Oboe, Violine, Orgel, Streicher und Continuo, RV 541 in d-Moll für Violine, Orgel, Streicher und Continuo, RV 767 in F-Dur für Violine, Orgel, Streicher und Continuo, RV 766 in C-Dur für Violine, Orgel, Streicher und Continuo, und RV 542 in F-Dur für Violine, Orgel, Streicher und Continuo gewählt.


Dazu kommen die bereits erwähnte Quartett-Sonata RV 779 und die Arie ‚Noli, o cara, te adorantis‘ aus dem Oratorium „Juditha Triumphans“, RV 644. In der von der Altistin Apollonia aus der Taufe gehobenen Arie des Generals Holofernes gibt die Berganza-Schülerin Francesca Ascioti ein eindringliches Porträt des „kopflos“ in Judith verliebten Militärs. Talbot: „In der Darstellung des Holofernes des vermeintlichen Bösewichts, zeigen Librettist Giacomo Cassetti und Vivaldi eine außergewöhnliche Zurückhaltung den Assyrer poetisch und musikalisch negativ zu charakterisieren. Stattdessen wird er, ein schroffer Soldat ohne offenkundig blutrünstige Absichten, zu einem verräterisch betrogenen Liebhaber.“


Neben all den ausführlichen musikhistorischen Informationen, technischen Beschreibungen der Instrumente und Illustrationen im 90-seitigen Booklet ist natürlich das Interesse in Bezug auf die musikalische Umsetzung von zentraler Bedeutung.


Und hier ist wirklich und ohne Einschränkung von einem Ereignis zu berichten: Gott sei Dank nicht im Sinne von noch schneller, fetziger oder artikulatorisch kantiger, sondern wir erleben die Musik Vivaldis mit ihren subtilen Dur-Moll Stimmungsschwankungen, dem barock-virtuosen melodischen Blattgeranke, aber auch in ihren lichtdurchfluteten Harmonien und sanften melancholischen Eintrübungen stets rhythmisch elegant, nichtsdestotrotz leidenschaftlich durchhaucht und in exquisiter Klangmalerei gepinselt. Der Hörer traumwandelt in akustischer Spiegelung durch die Kanäle und Gassen der Lagunenstadt, erweist der Gallerie Dell’Accademia, dem Palazzo Mocenigo, dem Palazzo Grassi die Ehre oder lässt seine Einbildungskraft ins persönliche Venedig des ob seiner Haarfarbe so genannten Prete Rosso schweifen.


Mit diesem Raritätenalbum holen Sie sich einen kleinen Abstecher nach Süden ins Haus, kostengünstig, umweltschonend und einfach beglückend. Ich wünsche dem Album die Aufmerksamkeit und den Zuspruch, den es künstlerisch verdient. 

Dr. Ingobert Waltenberger




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